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„Kreative müssen raus aus dem künstlerischen Elfenbeinturm“

Als einer der Top-Werber Europas beobachtet Ogilvy-Kreativchef Stephan Vogel die digitale Revolution in der Kreativwirtschaft. Sein Plädoyer: Kreative und Techniker, vereinigt euch! So behalten Talente trotz KI auch morgen die Nase vorn.

„Kreative müssen raus aus dem künstlerischen Elfenbeinturm“ -

Stephan, du hast erst mit 34 Jahren quasi als „Spätstarter“ in der Kreativbranche begonnen, aber bist jetzt schon fast 30 Jahre dabei: Wo steht die Branche gerade aus deiner Sicht?

Die Arbeit von Kreativagenturen ist so interessant wie nie. Ich bin in die Werbung gekommen, da war alles noch von Massenmedien und Paid Media bestimmt. Da gab es Penetrations-Strategien und Rabattaktionen. Mittlerweile wissen alle, dass sich mit mehr Mut und Kreativität eine viel stärkere und sympathische Verbindung zu allen möglichen Zielgruppen herstellen lässt. So lassen sich viele Media-Millionen und Plakatflächen sparen, aber dank der Verzahnung von PR und Social Media Millionen Views erzeugen.

Welche Chancen und Herausforderungen bietet die digitale Revolution in dieser Hinsicht?

Den digitalen Wandel sehe ich als unglaubliche Chance. Es ist wie in der Musik: Es gibt Coverbands, die schreiben keine eigenen Songs, aber treten erfolgreich auf, weil sie Lieder spielen, die gut ankommen. Als anspruchsvoller Kreativer dagegen will ich meine eigene Musik komponieren und suche irgendetwas im Ausdruck, in der Form oder Idee, was es so nicht gab. Dabei helfen mir die digitalen Medien. Sie erlauben mir technologisch mit Samples zu spielen und sehr schnell zu prüfen, ob meine Idee wirklich originell und originär ist. Das ist von unschätzbarem Wert.

„Die Arbeit von Kreativagenturen ist so interessant wie nie.“

Welcher besonders originelle „Song“ ist dir noch im Ohr aus deiner Arbeit?

Die Kampagne „Spar dir den Flug“ beispielsweise, die ich für die Deutsche Bahn konzipiert habe. Dort haben wir aufregende, sehr weit entfernte Landschaften eins-zu-eins mit fast identischen Landschaften in Deutschland gegenübergestellt. Einen Canyon in Arizona mit der Saarschleife zum Beispiel. Neben einer klassischen Online-Display-Kampagne und Influencer-Marketing lief auf Facebook ein Echtzeit-Preisvergleich von Flug- und Bahntickets, bei dem die Algorithmen der vier Plattformen kunstvoll miteinander interagiert haben. Das war neu.

Ein komplexes Datenprojekt.

Genau, bei Facebook weiß ich, wo sich der Empfänger befindet und welche Interessen er oder sie hat. Ich weiß, ob die Person lieber in die USA oder nach Asien fliegen würde und wo der nächste Flughafen liegt. Alles wird in Real Time verbunden, so dass die Anzeige immer den aktuell günstigsten Flugpreis mit dem konstanten 19-Euro-Angebot der Bahn und den entsprechenden Landschaften ausgespielt hat.

Welche Rolle kann KI in Kampagnen wie diesen spielen?

Technologie bedeutet Fortschritt. Das denke ich grundsätzlich und wer KI den Rücken zudreht, der schafft sein eigenes Handicap. Kreative sollten diese Technologien umarmen, erlernen, beherrschen, verstehen und mit ihnen arbeiten, um schnellere und bessere Ergebnisse zu erhalten.

Stephan Vogel war im März 2024 zu Gast bei dem German Creative Economy Summit in Hamburg.
Stephan Vogel war im März 2024 zu Gast bei dem German Creative Economy Summit in Hamburg.
Welchen Einfluss hat Kreativität auf Innovationen und damit den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen? Die Keynote von Stephan Vogel gab dem Publikum Antworten.
Welchen Einfluss hat Kreativität auf Innovationen und damit den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen? Die Keynote von Stephan Vogel gab dem Publikum Antworten.

Wie verändert das die Arbeit von Kreativagenturen?

Bei Ogilvy experimentieren wir systematisch mit KI auf Tausenden neuen Spielfeldern. Bei einfachen Aufgaben wie zur Optimierung von Medienausspielungen und bei komplexeren Arbeiten wie bei Pack-Shots. Früher brauchte es für die Fotos einer simplen Wasserflasche Licht, Kameras und viele, viele Menschen, es war ein extrem hoher Aufwand. Mithilfe von KI kann man solche Assets viel schneller generieren.

Und bei Bewegtbild?

Ebenfalls. Wenn wir eine Idee zu einem Film haben, in dem Jennifer Lawrence in einem blauen Kleid durch eine sehr teure Hotellobby läuft und ich will diese Bilder einfangen, wie es der Kameramann von „House of Gucci“ drehen würde, dann bietet uns die KI innerhalb weniger Minuten drei, vier Alternativen an. An denen kann ich dann weiter feilen. Für solche bildgebenden Verfahren haben Illustratoren früher Tage gebraucht.

„Erfolgreiche Kommunikation braucht die Insights von Lebens- und Verwendungssituationen. Diesen Vorsprung werden wir Menschen vermutlich auch noch lange behalten.“

Wie sieht’s bei Texten aus?

ChatGPT bei Skripts einzusetzen, ist bislang enttäuschend. Da fehlt wirkliche Originalität. Da werden die diversen Textgattungen und Kunstformen einfach abgearbeitet. Die KI schafft zwar so etwas wie ein Limerick, also ein kurzes, scherzhaftes Gedicht, aber es ist alles noch sehr brav und uninspiriert.

Wo sollten sich junge Kreativtalente jetzt positionieren, wenn sie morgen nicht überflüssig sein wollen?

Am ehesten ganz vorne bei der konzeptionellen Idee. Denn letztendlich kommunizieren immer noch Marken mit Menschen und umgekehrt. Als Menschen verstehen wir die Bedürfnisse und Psychologien einfach besser. Junge Eltern verstehen junge Eltern. Leute mit Glatze verstehen mehr von Haarwuchsmitteln. Dieses Thema durchdringen nicht mal Menschen mit Haaren so gut wie Menschen ohne. Wie soll das dann eine KI verstehen? Erfolgreiche Kommunikation braucht die Insights von Lebens- und Verwendungssituationen. Diesen Vorsprung werden wir Menschen vermutlich auch noch lange behalten.

„Kreative müssen raus aus dem künstlerischen Elfenbeinturm, hinein in den Kollaborationsmodus und mit Ingenieuren gemeinsam an Projekten arbeiten, die den Unterschied machen.“

Wo können sich Unternehmen noch mehr für Kreative öffnen?

Bei der Produktentwicklung. Hier sollten Kreative und Kommunikationsexperten noch stärker einbezogen werden. Nur so schaffen wir diese Interaktivität und intuitive Bedienung, die heute den Unterschied bei konnektiver Technologie macht. Bei den deutschen Autoentwicklern etwa macht jeder noch sein eigenes Ding. Wechselt man von einem Modell zu einem anderen muss man sich extrem umgewöhnen. Bei einem Polestar dagegen fühlt sich wegen der ganzen Apps schon jetzt alles wie ein iPhone an. Es entspricht viel mehr unseren Nutzungsgewohnheiten von anderen Devices. Produkte könnten also enorm verbessert werden, wenn Unternehmen Kreative frühzeitiger einbeziehen, weil dann mehr kommunikations- und weniger technologiegetrieben entwickelt wird.

Glaubst du, Kreative sind auch bereit, eine aktivere Rolle in Unternehmen zu übernehmen?

Leider sehe ich unter Kreativen oft eine Verachtung vor Kommerz und wirtschaftlichem Handeln. Diese Haltung und Grenzziehung müssen wir aufgeben. Kreative müssen raus aus dem künstlerischen Elfenbeinturm, hinein in den Kollaborationsmodus und mit Ingenieuren gemeinsam an Projekten arbeiten, die den Unterschied machen. Kreative können einen Riesenbeitrag dazu leisten, dass Technologie einfach, intuitiv, menschengerecht und attraktiv wird.

Zur Person

Als Chief Creative Officer von Ogilvy EMEA (Europa, Mittlerer Osten, Afrika) ist Dr. Stephan Vogel verantwortlich für mehr als 50 Offices in 35 Ländern. Außerdem ist er Creative Chairman von Ogilvy Deutschland. Seine Laufbahn in der Kreativbranche startete der promovierte Emotionspsychologe als Texter. 1997 kam er zu Ogilvy. Vogel ist Mitglied im Art Directors Club (ADC) und war von 2012 bis 2018 ADC-Präsident. Unter seiner Führung hat Ogilvy EMEA in den letzten drei Jahren 124 Cannes-Löwen gewonnen.

„Kreative müssen raus aus dem künstlerischen Elfenbeinturm“ -

Dr. Stephan Vogel

Chief Creative Office, Ogilvy EMEA

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