So kann Co-Creation die Zusammenarbeit in Behörden verbessern
Hinter der gelben Rasterfassade des Bezirksamts Hamburg-Nord arbeitet Susanne Rengel mit dem Cross Innovation Hub an einem Kulturwandel.
Hinter der gelben Rasterfassade des Bezirksamts Hamburg-Nord arbeitet Susanne Rengel mit dem Cross Innovation Hub an einem Kulturwandel.
Vor dem Paternoster im Bezirksamt Hamburg-Nord hängen Absperrkordeln. Der Herr am Empfang: „Ab Mittag wird der immer abgestellt, um Energie zu sparen.“ Also zu Fuß weiter, vom Treppenhaus zweigen stille Flure ab, hinter geschlossenen Türen: Zweierbüros. An Räume für Begegnungen oder den spontanen Austausch hatte Architekt Paul Seitz 1954 noch nicht gedacht. Voraussichtlich 2027 wird das Bezirksamt in einen Neubau ziehen – sichtbarstes Zeichen eines Wandels von innen, der langsam Gestalt annimmt. Denn schon kleine Schritte und neue Praktiken können viel bewirken, weiß Susanne Rengel. Sie ist „Transformationsbegleiterin“ im Bezirksamt – und ihre Bürotür steht meistens offen.
Die „Kultur der offenen Tür“ ist auch eine von vielen Ideen aus dem Entwicklungsprojekt, das Susanne Rengel mit dem verwaltungssoziologischen Lehrstuhl der Universität Potsdam und dem Cross Innovation Hub der Hamburg Kreativ Gesellschaft gestaltet und geleitet hat. Sie sagt: „Mit offener Tür ist auch die im Kopf gemeint. Es geht um eine Haltung: sich mehr füreinander zu öffnen, Perspektiven zu wechseln und sich auszutauschen.“
Wenn sie erzählt, hat sie ein Funkeln in den Augen, der Projektname „Nordstern“ passt gut zu ihr. Das erklärte Ziel: die Zusammenarbeit im Bezirksamt verbessern und auf die digitale Zukunft ausrichten. „Wir wollen unseren Bürger*innen als Verwaltung ein verlässlicher und professioneller Ansprechpartner sein, für ein gutes Miteinander und Leben im Bezirk. Das gelingt nur, wenn wir auch im Inneren gut zusammenarbeiten.“
Eigentlich wechselte Susanne Rengel als Expertin für digitale Transformation ans Bezirksamt, zuvor co-leitete sie unter anderem das „digitale Innovationslabor“ bei einem Hamburger Öl- und Gasversorger. Sie sieht ihre Rolle als Transformationsbegleiterin in der ganzheitlichen Betrachtung der Organisation und öffnet dafür kollektive Austausch- und Beteiligungsräume. Um die Herausforderung zu verstehen, muss man wissen, dass das Bezirksamt ein riesiger Gemischtwarenladen ist: rund 1.100 Menschen, 65 Berufsbilder, 40 Standorte. Zum Kollegium zählen die Sozialarbeiterin wie die Standesbeamtin und der Gärtner im Stadtpark. „Diese Themenvielfalt und Sinngebung hat mich gereizt“, sagt Susanne Rengel.
Von außen betrachtet sieht es ja immer ganz einfach aus: Tschüss, Aktenordner und Warteschlange, künftig sollen Bürger*innen den neuen Pass vom Wohnzimmer aus beantragen, Hunderte Services online nutzen können. Corona hat einen zusätzlichen Digitalisierungsschub ausgelöst – auch in der Verwaltung sind virtuelle Meetings und ortsunabhängige Zusammenarbeit jetzt Alltag. Dabei zeigt sich aber, dass gewisse Denkweisen und Strukturen noch nicht auf diese sich verändernde Arbeitswelt eingestellt sind. Ein klassisches Beispiel sind „Wissenssilos“ in und zwischen einzelnen Abteilungen: „Wer macht eigentlich genau was im Haus? Es ist wichtig, den Überblick zu behalten – und hierfür die interne Kommunikation anzukurbeln, vor allem wenn nicht alle ständig vor Ort sind“, sagt Susanne Rengel.
Am Transformationsprozess beteiligten sich im Sinne der Co-Creation Mitarbeitende und Führungskräfte in mehreren Phasen; parallel hat sich eine Kulturwandel-AG aus den beteiligten Akteur*innen nachhaltig etabliert und bindet so weitere Mitarbeiter*innen in der Umsetzung ein. Am Anfang stand eine Organisationsanalyse unter fachlicher Begleitung der Universität Potsdam, die in der Sondierung von wesentlichen Herausforderungen mündete. Diese wurden vom Cross Innovation Hub aufgegriffen und in einem mehrstufigen, eigens für das Bezirksamt entwickelten, Prozess in eine Vision für ideale Zusammenarbeit und visionsgeleitete praktische Lösungen überführt.
Hinter dem Begriff Cross Innovation verbirgt sich die Idee, das Innovationspotenzial der Kreativwirtschaft für andere Branchen nutzbar zu machen – indem Akteur*innen beider Seiten zusammenarbeiten. So wie in diesem Fall mit dem Weiterbildungsformat „Pop-up Office“, das ein wichtiger Teil des Prozesses war. Darin widmen sich gemischte Teams aus Kreativschaffenden und Organisationsvertreter*innen dem Thema Innovationskultur und New Work. So bildete sich im Mai 2023 in einem Loft in der HafenCity für dreieinhalb Tage eine ungewöhnliche Bürogemeinschaft. Mittendrin: Mitarbeitende des Bezirksamts.
Mit dem Pop-up Office hat der Cross Innovation Hub ein experimentelles Weiterbildungsformat in seiner Angebotspalette, das sich dem Thema „Innovationskultur“ widmet. Für mehrere Tage bringt der Hub verschiedene Unternehmensvertreter*innen mit ausgewählten Kreativen zusammen. Angeregt von New-Work-Expert*innen und angeleitet von Facilitator*innen durchlaufen die gemischten Teams sogenannte „Culture Sprints“ – von der Problemdefinition bis zur Entwicklung von Lösungsansätzen. Ziel ist es, die neuen Praktiken und Impulse des Formats anschließend im eigenen beruflichen Alltag anzuwenden. Mehr erfahren
Der Ansatz: Alle denken mit, egal wie und wo man arbeitet – und lernen so von Erfahrungen und Perspektiven der anderen Beteiligten. Nach einem Impulsvortrag zu Themen rund um New Work machten sich interdisziplinäre Kleingruppen an die Arbeit. Die Herausforderungen des Bezirksamts kamen dabei ebenso auf den Tisch wie die von kreativen Freelancer*innen. Die Vorstellungen einer idealen Arbeitskultur und Zusammenarbeit wurde dabei direkt in eine greifbare Form gebracht: Es entstanden unterschiedliche Visionsprototypen, die im weiteren Prozess noch einmal gezielt für das Bezirksamt finalisiert wurden. Ein Mitarbeiter des Bezirksamts beklebte seinen Prototypen zum Beispiel mit Augen und Herzen, für Wünsche wie „Mehr ausprobieren“ oder „Kontakte knüpfen“. „Ein wichtiger Impuls aus dem Pop-up Office war: Jede*r kann kreativ sein! Trau dich, deine Ideen vorzubringen, und steh für sie ein“, resümiert Susanne Rengel. Auf Basis der Visionen entstanden in einem nächsten Schritt konkrete Ideen und Maßnahmen für eine zukünftige Zusammenarbeit.
Inzwischen sind viele der Maßnahmen schon getestet, werden iterativ weiterentwickelt oder wieder verworfen. So schnürt die Kulturwandel-AG gerade „Care-Pakete“ für gute Besprechungen: Hilfsmittel wie Motivationskarten sollen Meetings auflockern und konstruktiver machen – ebenso wie effiziente Meetingbausteine wie „Redezeiten begrenzen“ oder „Die Moderationsrolle wechseln“. Ein weiteres Beispiel ist das „Flur-Café“: Bei einem Kaffee in den langen Gängen lernen sich Mitarbeitende abteilungsübergreifend besser oder überhaupt kennen. Oder man trifft sich in der Mittagspause online zum Format „Hirnfutter“. Von Kolleg*innen lernen ist hier das Ziel. „Es geht darum, Einblicke in das Tun der anderen zu bekommen, sich besser zu vernetzen und die vielfältigen Kompetenzen im Haus besser zu nutzen“, sagt Susanne Rengel.
Als neuer Treffpunkt wurde der seit Corona verwaiste Speisesaal als „Kreativkantine“ wiederbelebt: Nachdem hier bis vor Kurzem die Projektergebnisse ausgestellt wurden, wird nun mit dem Prototyp einer offenen Mittagspause experimentiert: Jeder bringt sich sein Essen selbst mit und alle kommen niedrigschwellig zusammen. Zumindest bis zum Umzug in das neue Gebäude. Dann muss sich das Team auch endgültig vom Paternoster verabschieden.