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Wie sich Kreativität und Wirkung verbinden lassen

Das Streben nach kreativer Entfaltung ist oft mit dem Wunsch verbunden, einen sinnstiftenden Einfluss auf die Welt zu nehmen. Die Sozialunternehmerin und Unternehmensberaterin Veronica D'Souza erzählt, wie sich Leidenschaft und Purpose in Einklang bringen lassen.

Wie sich Kreativität und Wirkung verbinden lassen -

Vor zehn Jahren besuchte Veronica D'Souza ein Frauengefängnis in Kenia und stellte fest, dass fast alle Insassinnen Mütter und wegen Armutsdelikten wie Diebstahl oder Prostitution angeklagt waren. Daraufhin gründete sie das Modelabel Carcel mit dem Ziel, inhaftierten Frauen in Peru und Thailand eine Arbeit mit fairer Bezahlung zu ermöglichen. Wir haben D'Souza im März 2024 auf dem German Creative Economy Summit getroffen und darüber gesprochen, wie sich Leidenschaft und Purpose in Einklang bringen lassen.

Veronica, lass uns mit einer einfachen Frage starten: Die Welt verändert sich in rasendem Tempo - ist es eine gute Zeit für Kreative heute?

Auf jeden Fall. Der Ruf nach Kreativen war noch nie so laut wie heute. Wir brauchen kreative Kräfte und die großartigsten Ideen, um unsere kaputten Systeme in regenerative zu verwandeln, in etwas Wünschenswertes und Schönes, etwas, das wir wollen. Kreativität kann uns helfen, eine Kultur aufzubauen, die Anreize für neue Werte schafft und eine neue, bessere Gesellschaft hervorzubringen.

Du bist Sozialunternehmerin mit einem Fokus auf Nachhaltigkeit und die Stärkung von Frauen: Welche Empfehlung hast Du für Kreative, die den Schritt von der Vision zur Umsetzung schaffen wollen?

Rückblickend kann ich sagen: Ich hatte nie einen Masterplan. Wenn ich gewusst hätte, was ich alles für die Unternehmen brauche, hätte ich es wahrscheinlich nie getan. Es ist einfach eine Menge! Egal, ob es sich um einen Podcast, Film oder ein neuartiges Design handelt, Du musst den ersten Schritt gehen und darfst nicht zu viel darüber nachdenken. Stattdessen solltest Du versuchen, auf dem Weg zu lernen. Erlaube Dir ein bisschen naiv zu sein, zu träumen und an Dein Projekt zu glauben.

DSouza
D'Souza war im März 2024 zu Gast bei dem German Creative Economy Summit in Hamburg.
Der Appell des German Creative Economy Summit und von Veronica D
Der Appell des German Creative Economy Summit und von Veronica D'Souza: Let's join Creative Forces!

Manchmal wirkt die Komplexität der Welt ganz schön einschüchternd.

Es gibt keine Alternative. Sonst werden wir, die wir heute leben, in Apathie ersticken. Wir können nicht alles verändern. Das ist klar. Aber wenn Du an etwas arbeitest, das Dir Energie gibt und das Du verbessern kannst, wirst Du glücklicher sein, und das wird Deine kreative Energie steigern. Also würde ich sagen, fang klein an und sei Du selbst.

Was braucht es Deiner Meinung nach noch, um eine wünschenswerte und nachhaltige Zukunft zu gestalten?

Ich bin überzeugt, dass wir ein neues Verständnis von Schönheit brauchen, um unsere Gesellschaft zu verändern. Denn Schönheit ist etwas, wonach wir streben. Sie ist einfach Teil unserer menschlichen Natur. Unsere derzeitige Auffassung stammt aus den letzten 60 bis 70 Jahren und ist mehr oder weniger gleichbedeutend mit Massenkonsum. Das heißt Schönheit ist etwas, das man mitnehmen oder kaufen kann, wie etwa ein Stück Stoff. Aber diese Denkweise ruiniert unseren Planeten, also müssen wir sie loslassen.

Wie schaffen wir das?

Ja, loszulassen ist schwierig, wenn wir nichts Attraktives haben, um es zu ersetzen. Zunächst sollten wir Schönheit eher als ein philosophisches und emotionales Konzept betrachten, das uns helfen kann, in eine nachhaltigere Praxis zu kommen. Es hat etwas mit Werten zu tun.

„Als Kreative können wir dazu beitragen, indem wir aufhören, unsere Energie in schöne Kampagnen für gestörte Wertschöpfungsketten zu stecken.“

Kannst Du uns ein Beispiel geben?

Nehmen wir zum Beispiel unsere Telefone. Mit deren Kauf haben wir wahrscheinlich zu einem System beigetragen, das nicht schön, sondern schrecklich ist. Und wir sind alle Teil davon und haben oft ein schlechtes Gewissen, wenn wir etwas kaufen.

Wie können wir das lösen?

Wir sollten anfangen, über die Schönheit im Sinne von gerechten Systemen nachzudenken. In denen die Art und Weise, wie Dinge hergestellt werden, und die Gedanken, die dem Prozess zugrunde liegen, genauso schön sind wie das Aussehen der Dinge. Auf diese Weise entsteht eine Verbindung mit dem Urheber oder der Urheberin und das gibt uns eine andere Perspektive auf Schönheit. Als Kreative können wir dazu beitragen, indem wir aufhören, unsere Energie in schöne Kampagnen für gestörte Wertschöpfungsketten zu stecken.

In ihrer Keynote erzählte Veronica D
In ihrer Keynote erzählte Veronica D'Souza, wie sie Begierde und Schönheit als Katalysatoren für Veränderungen einsetzt.
Die Social Entrepreneurin fordert kreative Köpfe dazu auf, neue und gerechte Lebenssysteme für alle zu erträumen.
Die Social Entrepreneurin fordert kreative Köpfe dazu auf, neue und gerechte Lebenssysteme für alle zu erträumen.

Lass uns Deinen Standpunkt am Beispiel der Modeindustrie veranschaulichen, in der Du seit Jahren tätig bist.

Ja, Mode ist cool. Wir alle wollen sie. Sie spielt auf all die psychologischen Faktoren an, die eine Welt des Begehrens schaffen. Aber es gibt auch Probleme, und das größte davon sind die Saisons. Sie sind wahrscheinlich die Hauptursache der Probleme, denn sie nähren den Wunsch nach Neuem und produzieren den ganzen Müll. Und dann ist da noch die Tatsache, dass nur ein kleiner Teil der Menschen, die in diesem Sektor arbeiten, davon leben kann.

Wie bist Du mit diesen Problemen umgegangen, als Du Carcel gegründet hast, das Luxus-Modelabel, das inhaftierte Frauen als Näherinnen angestellt hat?

Wir hatten eine ganz andere Herangehensweise an das Design. Wir haben am Anfang nicht so sehr an ein Endprodukt gedacht. Wir haben darüber nachgedacht, was mit Blick auf die Ressourcen sinnvoll ist. Welche Materialien haben wir vor Ort? Wo finden wir Menschen, die handwerklich sehr begabt sind? Wie können wir für einige der am meisten ausgegrenzten Menschen – Frauen im Gefängnis – Arbeitsplätze schaffen, ohne dass es zu einem Wohltätigkeitsprojekt wird? So sind wir in Gefängnissen in Peru und Thailand gelandet. Die meisten Frauen kamen aus einkommensschwachen und ländlichen Gemeinden, die mit Armut, Drogenhandel, Diebstahl und Prostitution zu kämpfen hatten. Wir steuerten die Maschinen und die Ausbildung bei. Sie brachten ihre Handwerkskunst ein. Das war ein großes Privileg, und wir honorierten alles, indem wir Löhne zahlten, die dem Lebensstandard in der Außenwelt entsprachen. Die Idee von Carcel war also, die kulturelle Kraft der Schönheit zu nutzen und die fehlerhaften Strukturen der Modeindustrie zu ersetzen.

„Ich erlebe Modeschaffende, die innere Kämpfe austragen, da sie einen Beitrag zu einem System leisten, das ihren Überzeugungen widerspricht.“

Junge Kreative stehen oft vor der Herausforderung, ihre Ambitionen mit ihren Werten in Einklang zu bringen?

Auf jeden Fall. Ich erlebe Modeschaffende, die innere Kämpfe austragen, da sie einen Beitrag zu einem System leisten, das ihren Überzeugungen widerspricht. Viele junge Kreative kämpfen sehr damit, einen beruflichen Weg zu finden, auf dem sie sich nicht nur kreativ ausdrücken können, sondern der auch mit ihrem moralischen Kompass übereinstimmt. Es ein weit verbreitetes Gefühl und sollte nicht auf die leichte Schulter genommen werden.

Oder ist es einfach Orientierungslosigkeit?

Es geht weniger um Orientierungslosigkeit oder das Gefühl, verloren zu sein, als vielmehr um ein tiefes Bewusstsein der Komplexität der Welt. Man befindet sich in einem moralischen Konflikt, vor allem wenn es darumgeht, finanziell stabil dazustehen. Hier liegt das eigentliche Dilemma.

Wie kann das Deiner Meinung nach gelöst werden?

Entscheidend ist, dass Du Deinem moralischen Kompass treu bleibst. Es ist ein langer Weg und keiner von uns ist vor Kompromissen gefeit. Aber es ist von größter Bedeutung, dass wir an unseren Werten festhalten. Umgib Dich mit Gleichgesinnten, die Deine Vision teilen. Diese Gespräche und Kontakte sind von unschätzbarem Wert. Die Zeiten ändern sich, und die Bewegungen, die sich für neue Sichtweisen einsetzen, gewinnen an Dynamik.

Zur Person

Veronica D'Souza unterstützte von 2016 bis 2021 inhaftierte Frauen in Peru und Thailand mit dem Modelabel Carcel. Sie ist Mitgründerin von Ruby Cup, einem Menstruationstassen-Business mit einem „Buy-one-give-one“-Modell. Nutzerinnen der Ruby Cup haben so seit 2012 rund 140.000 Menstruationstassen in 13 Ländern gespendet. Ihre 15-jährige Erfahrung als Sozialunternehmerin, in der NGO-Arbeit und in der Privatwirtschaft setzt sie nun als Beraterin für Gemeinschaftsprojekte und Unternehmen ein. Die Mutter zweier Töchter lebt in Kopenhagen, hat einen Master in International Business & Politics, ist Jury-Mitglied beim INDEX Award und sitzt im Vorstand des Danish Design Council.

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Veronica D'Souza

Social Entrepreneur

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