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Nachhaltiges Modelabel tentation: Vom Festivalzelt zum Fashion-Unikat

Katrin Rieber schenkt kaputten Zelten ein zweites Leben. Ihre laufstegtaugliche tentation-Kollektion gewann einen Silberstreifen Award – jetzt verkauft die Modedesignerin erfolgreich im Pop-up-Store Unique Mash.

Nachhaltiges Modelabel tentation: Vom Festivalzelt zum Fashion-Unikat -

Wenn der Zirkus vorbei ist, bleibt eine Geisterstadt zurück: Bei der Fusion 2016 hatte Katrin Rieber als Helferin eine Aufräumschicht übernommen – am Montag danach, als die meisten der rund 70.000 Festivalgäste längst abgereist waren. „Das Campinggelände sah aus wie eine Kulisse aus einem Endzeitfilm. Überall verwaiste Zelte inmitten von Müll. Ich war geschockt“, erzählt sie. Ihr fiel auf, dass an vielen Zelten und Pavillons nur Kleinigkeiten kaputt waren: mal ein fehlender Reißverschluss, mal eine gebrochene Stange. Trotzdem sollte das meiste am Ende im Müllcontainer landen. „Was für eine Verschwendung kostbarer Ressourcen“, habe sie gedacht – und packte kurzerhand ihren Kofferraum voll.

Die zweite Chance

Zurück in ihrem Atelier in Hamburg-Altona begann sie, mit den Materialien zu experimentieren und Entwürfe zu skizzieren. Zelte bestehen normalerweise aus Nylon und Polyester mit einer PU- oder Silikonbeschichtung. Damit zu arbeiten, war zuerst befremdlich für die umweltbewusste Modedesignerin, die erdölbasierte Textilien sonst aus Prinzip meidet. Für ihr 2015 gegründetes Label ein garten (inspiriert von Rilkes „Ich will ein Garten sein“) entwirft sie zum Beispiel Mäntel aus wetterfestem EtaProof, einem innovativen Gewebe aus Bio-Baumwolle.

Mithilfe des Programms Frei_Fläche wird der einstige Bio-Supermarkt seit Oktober 2023 von einem Dutzend Designer*innen bespielt, die hier ihre Produkte verkaufen und auch Workshops geben.

Dem problematischen Synthetikmaterial ein zweites Leben zu schenken, ergab für Katrin Rieber aber Sinn. Ihre Idee: Regenbekleidung und Taschen für die Stadt und – hier schließt sich der Kreis – für Festivals. Ab dem darauffolgenden Jahr besuchte sie große Events gezielt, um kaputte Zelte einzusammeln. 2021 launchte sie ihre erste Kollektion namens tentation.

Das Schaufenster

Treffen im Pop-up-Store Unique Mash in der Osterstraße, der nachhaltig gefertigte Kleidung, Accessoires, Kunst und Keramik versammelt, kuratiert auch von Katrin Rieber. Mithilfe des Programms Frei_Fläche wird der einstige Bio-Supermarkt seit Oktober 2023 von einem Dutzend Designer*innen bespielt, die hier ihre Produkte verkaufen und auch Workshops geben.

2021 launchte Katrin Rieber ihre erste Kollektion.
2021 launchte Katrin Rieber ihre erste Kollektion.
Mode, Kunst, Keramik: Die erste Frei_Fläche in Eimsbüttel war früher ein Bio-Supermarkt.
Mode, Kunst, Keramik: Die erste Frei_Fläche in Eimsbüttel war früher ein Bio-Supermarkt.

Während wir Katrins Mäntel anprobieren, wird nebenan gestrickt. Es ist die erste Frei_Fläche für kreative Zwischennutzung in Eimsbüttel, „und die Lage direkt an der Kreuzung und U-Bahn ist eins a“, lobt Katrin. „Wir haben viel Laufkundschaft. Außerdem das tollste Schaufenster im Viertel, mehr als zehn Meter breit, unbedingt fotografieren!“ Das Publikum sei designaffin und offen für grüne Themen. „Einige Teile, die ich euch zeigen wollte, sind schon wieder weggekauft“, entschuldigt sich Katrin mit ironisch verzweifelter Geste. Was die Kund*innen übrig ließen, reicht aber, um ihre Handschrift zu erkennen.

Das Design

Beispiel Regenmantel: Ihm verpasste sie einen dynamischen „Volahiku“-Schnitt. Hinten reicht der Stoff knapp über die Kniekehle, praktisch zum Radeln, seitlich schwingt sich der Saum abwärts und läuft zur Front hin spitz zu. „Für die Luftzirkulation ist der Mantel zudem oversize geschnitten“, erläutert Katrin. Da Zeltplanen relativ dünn sind, kleidet sie einige ihrer Taschen mit robustem Zeltbodengewebe aus. Für den „Fluffy Puffy Shopper“ ersann sie eine doppelte Stofflage mit eingenähtem Vlies. Das bauschige Polster schützt den Inhalt und fühlt sich an, als trage man ein Daunenkissen unterm Arm.

Alter Stoff, neues Label: tentation macht Mode aus alten Zelten. Das sieht man den exklusiven Stücken aber nicht an.
Alter Stoff, neues Label: tentation macht Mode aus alten Zelten. Das sieht man den exklusiven Stücken aber nicht an.
Unique Hat: eine Kopfbedeckung aus der Kollektion von Katrin Rieber
Unique Hat: eine Kopfbedeckung aus der Kollektion von Katrin Rieber

„Upcycling-Produkte brauchen zwingend ein gutes Design“, meint Katrin und argumentiert: „Wenn wir etablieren wollen, dass gebrauchtes Material wiederverwendet wird, müssen die Dinge daraus mindestens so attraktiv sein wie ihre jungfräuliche Konkurrenz.“ Vorbildlich findet sie die Freitag-Taschen aus LKW- Planen; von Kronkorken-Ohrringen oder Kulturbeuteln aus Jeans, an denen Hosentaschen, Nähte und Nieten noch dran sind, hält sie wenig. Ihren Kreationen sieht man ihr Vorleben bewusst nicht an. Nur einzelne tragen zelttypische Details, die Fäustlinge etwa seitliche Schlaufen und Knebel – ursprünglich dazu da, einen aufgerollten Zelteingang zu befestigen. Um eine SMS zu texten, schlüpfen die Tippfinger durch eine „Tür“ im Handschuh schnell raus und wieder rein.

Der Anschub

Die meisten Zelte sind grün, grau oder blau, schickeres Creme oder Silber sind rar. Umso mehr muss die Mode von tentation in puncto Form und Funktion glänzen. Die Jury des Silberstreifen Awards überzeugte, neben dem ökologischen Impact, genau das. Der Preis mit Ausstellung im Design Zentrum Hamburg brachte Katrin Rieber wie erhofft mehr Reichweite und Kontakte. Und sie sei im Rückblick dankbar, dass die Kreativ Gesellschaft sie damals ermuntert habe, sich für weitere Förderprogramme zu bewerben.

"Die Creative Business Academy ist ein super Programm. Dabei konnte ich mich in Bereichen festigen, in denen ich noch keine Profession hatte, wie zum Beispiel Marketing und PR."

Es klappte: Sie stellte mit drei weiteren Designer*innen auf der Nordstil-Messe aus und bildete sich in verschiedenen Coachings fort: „Die Creative Business Academy ist ein super Programm“, sagt sie: „Dabei konnte ich mich in Bereichen festigen, in denen ich noch keine Profession hatte, wie zum Beispiel Marketing und PR.“ Und: „Das Training hat mir geholfen, mit den Partnern der Festivalbranche auf Augenhöhe zu verhandeln und ihnen den Wert meiner Aktionen deutlich zu machen.“

Der Kreislauf

Auf XXL-Events wie Rock am Ring oder dem Wacken Open Air sammelt Katrin Rieber mit ihren Teams im Schnitt 20 Kubikmeter Material ein. Noch intakte Ausrüstung übergeben sie gemeinnützigen Organisationen, die vor Ort für Bedürftige sammeln. An den aufgestellten „Rettungsboxen“ kommt die tentation-Aktivistin mit vielen Leuten ins Gespräch und erklärt ihr Konzept – ohne zu missionieren. „Danke, dass ihr das macht“, hört sie häufig.

Ein Großteil des geretteten Materials lagert in einer Scheune auf dem Land. Nach der Reinigung werden Kleinteile wie Verschlüsse abgetrennt, die Planen sinnvoll zerteilt und sortiert. In ihrem Atelier tüftelt Katrin an den aufwendigen Mustern für Unikate und Kleinserien, zur Fertigung beauftragt sie lokale Werkstätten.

Mit ihrem Projekt will die Designerin auch eine Botschaft an die Industrie senden, an geschlossenen Stoffkreisläufen zu arbeiten. Stichwort Cradle to Cradle. Vorsorglich achtet sie bei allen tentation-Produkten auf möglichst sortenreine Materialien: „Das heißt, dass ich zum Beispiel keine Garne oder Futterstoffe aus Baumwolle verwende.“ Damit die Produkte an ihrem Lebensende eine Chance haben, recycelt zu werden. Wer weiß, was als Nächstes aus ihnen wird.

Zur Person

Nach ihrem Studium „Integriertes Design“ an der Hochschule für Künste Bremen und Stationen bei Modelabels machte sich Katrin Rieber selbstständig. In Hamburg fand sie einen schlecht geheizten, doch inspirierenden Schaffensort im „Frappant“, in der Großen Bergstraße. Vor Kurzem ist Katrin Rieber mit ihrer neuesten Kollektion aus Frankfurt zurückgekehrt: An ihrem Stand bei der Nordstil 2023 in Hamburg war sie von einem Trendscout angesprochen und zur Ambiente eingeladen worden – der größten Konsumgütermesse der Welt.

Nachhaltiges Modelabel tentation: Vom Festivalzelt zum Fashion-Unikat -

Katrin Rieber

Gründerin, tentation

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