Initiativen derHamburg Kreativ Gesellschaft

Ein Roadtrip bis zum Jupiter

André Cramer hat als Vertriebler hunderte Bekleidungsgeschäfte von innen gesehen. Dann beschließt er, selbst eins zu eröffnen: La Tribune Noire, ein Shop für Produkte von Black-Owned Businesses. Sein erstes Zuhause findet das Pop-up-Konzept über das Programm Frei_Fläche am Alten Wall – schon bald wächst es gewaltig.

Ein Roadtrip bis zum Jupiter -

André Cramer betritt das ehemalige Karstadt Sports an der Mönckebergstraße, heute als Jupiter bekannt, als wäre es sein Zuhause. Gibt dem Türwächter die Hand, grüßt den Hausmeister. Tatsächlich zieht er auf gewisse Weise bald hier ein – aber dazu später mehr. Denn noch bevor der Fahrstuhl gen Dachterrasse startet, nimmt er uns mit auf den wilden Roadtrip, der sein Leben ist. „Was wenige wissen: Eigentlich bin ich so etwas wie der letzte Flüchtling der DDR und der erste Besucher des geeinten Deutschlands“, beginnt er, während das Frühjahrslicht durch die Fenster des Kaufhauses fällt. Mit drei Freunden floh der gelernte Friseur am 9. November 1989 im Trabi über die Tschechoslowakei gen Westen – der DDR-Staat war schon in der Auflösung und Günter Schabowskis Mauerfall-Rede folgte bekanntlich noch am selben Tag.

Neben Tankgutscheinen und einem Kassettenrekorder hat Cramer Unternehmergeist im Gepäck: Seine erste D-Mark verdient er, indem er Westdeutsche mit einem Trabi in Saarbrücken um den Marktplatz fahren lässt. Darauf folgt eine Karriere als Vertriebsleiter bei s.Oliver samt Exkurs nach Indien, um dort die ersten beiden lokalen Stores des Modeunternehmens mit aufzubauen. Das habe ihn an die Zeit der frühen Einkaufszentren im Osten der 90er erinnert – „Retailer-Goldgräber-Zeiten“ nennt er sie.

Freie Flächen in Hamburg? Wer sucht, der findet

Mit der ansprechenden Gestaltung großer Ladenflächen kennt er sich also aus. Und daraus entsteht nach Jahren des Angestelltendaseins ein Plan. „Ich schreibe seit einem Jahr an dem Businessplan für einen Concept Store, gefüllt mit Produkten von Black-Owned Brands. Nur die passende Ladenfläche fehlt mir noch“ – mit diesen Worten meldet sich Cramer beim Programm Frei_Fläche, wenige Tage nach dessen öffentlicher Vorstellung. „Wir haben dann gemeinsam nach freien Flächen gesucht“, erinnert sich der energetische Unternehmer.

„Ich habe überlegt: Gründe ich in Berlin oder in Hamburg? Und muss heute sagen: Allein durch die Kreativ Gesellschaft gibt es hier so viele Möglichkeiten, die ich in Berlin nicht gehabt hätte.“

Und das erfolgreich: Das Pop-up-Konzept mit dem Namen La Tribune Noire öffnet am 16. Dezember 2021 für rund ein Jahr seine Türen am prestigeträchtigen Alten Wall. „Ich habe überlegt: Gründe ich in Berlin oder in Hamburg? Und muss heute sagen: Allein durch die Kreativ Gesellschaft gibt es hier so viele Möglichkeiten, die ich in Berlin nicht gehabt hätte.“ Bis Ende des Jahres 2022 bespielt André Cramer, dessen Vater aus dem Senegal stammt, die Ladenfläche einige Meter vom Rathaus entfernt und schafft einen Treffpunkt für Schwarzes Unternehmertum, Tourist*innen und neugierige Shopper*innen.

La Tribune Noire öffnete am 16. Dezember 2021 für rund ein Jahr seine Türen am prestigeträchtigen Alten Wall. Foto: Jan-Marius Komorek
La Tribune Noire öffnete am 16. Dezember 2021 für rund ein Jahr seine Türen am prestigeträchtigen Alten Wall. Foto: Jan-Marius Komorek
Die Ladenfläche einige Meter vom Rathaus entfernt und schafft einen Treffpunkt für Schwarzes Unternehmertum, Tourist*innen und neugierige Shopper*innen. Foto: Jan-Marius Komorek
Die Ladenfläche einige Meter vom Rathaus entfernt und schafft einen Treffpunkt für Schwarzes Unternehmertum, Tourist*innen und neugierige Shopper*innen. Foto: Jan-Marius Komorek

„Wenn du als Schwarze Person in Europa auf eine Modemesse gehst, gehörst du zu einer Minderheit. Man sieht sich, unterhält sich und irgendwann geht man miteinander essen – und dann kennt man sich.“

Lagerraum in einer alten Kirche

Wir begleiten André Cramer einige Kilometer auf seinem Weg, springen beim Jupiter ins Auto und kommen vor dem Afrotopia in Barmbek zum Stehen: Eine ehemalige Kirche, Backstein, wie fast der gesamte Stadtteil. In das „Kultur- & Innovationszentrum von Schwarzen Menschen für Schwarze Menschen“ ist er mit La Tribune Noire bereits im Mai 2021, also vor der Zeit im Alten Wall eingezogen. Eigentlich sollte sein Büro im denkmalgeschützten Kirchturm liegen. Sein Blick wandert die Fassade hoch. „Die Aussicht über ganz Hamburg ist fantastisch. Ich müsste aber alle Produkte hochschleppen, nur um sie dann wieder herunterzutragen“, erklärt Cramer pragmatisch und zeigt uns den kleinen Arbeitsraum, für den er sich stattdessen entschieden hat. Von hier aus versendet er seine Produkte – denn La Tribune Noire ist auch ein Onlineshop.

Das Afrotopia in Barmbek: Hier hat Cramer sein Shopkonzept La Tribune Noire gegründet. Foto: Malte Spindler
Das Afrotopia in Barmbek: Hier hat Cramer sein Shopkonzept La Tribune Noire gegründet. Foto: Malte Spindler
Ein Kartenspiel mit Schwarzen Koryphäen: Hiermit wurde im Alten Wall ein Spieleabend veranstaltet. Foto: Malte Spindler
Ein Kartenspiel mit Schwarzen Koryphäen: Hiermit wurde im Alten Wall ein Spieleabend veranstaltet. Foto: Malte Spindler

Nächster Halt: Jupiter

Und wo geht die Reise als nächstes hin? Gleich zwei Angebote der Kreativ Gesellschaft begleiten André Cramer auf seinem Weg: In der „Creative Business Academy“ entwickelt er sein Konzept aktuell weiter. Dort trifft er auch auf einige seiner Kontakte wie die Macher*innen von Little Ashé, die mit Diversity-Kinderpuppen ebenfalls teilnehmen. Und dann wird auch klar, warum er den Türwächter im Jupiter beim Vornamen kennt: Im Frühjahr 2023 bezieht er mit La Tribune Noire und einer Fülle neuer Ideen das Erdgeschoss des Kaufhauses. Aus 130 Quadratmetern werden dann knapp 1.000. Cramer sagt, er habe zwar Respekt vor der Größe der Fläche, sehe das Projekt aber vor allem als Chance – mit Kaffeebar, Designer Lab und Showroom-Boxen, wie er sie im Bikini Berlin gesehen hat. Das ist typisch für den umtriebigen Mann mit orangefarbener Mütze: Auf seinem Weg wirft er den Blick immer wieder nach rechts und links, um sich inspirieren zu lassen. Künftig auf der Mönckebergstraße.

Nächster Halt: Jupiter
Nächster Halt: Jupiter

Sechs Stunden, vierundsechzig Brands

Mit minimalistischen Regalen und Kleiderständern präsentiert er die hochwertigen Produkte, die es bei La Tribune Noire zu kaufen gibt. Sechs Stunden. Länger soll der Aufbau seines Shopsystems nicht dauern. Außergewöhnliche Mode, aromatischer Kaffee, ausgefallenes Interior – lange suchen muss Cramer nicht nach den Marken, die seine Ladenfläche füllen. Gestartet ist er mit 16 Kreativen, die auch das Rahmenprogramm am Alten Wall mitgestalteten. Inzwischen kooperiert er mit 64 Brands, die, wie er sagt, größtenteils auf ihn zugekommen sind. „Mein Konzept ist in dieser Form in Deutschland einzigartig und das hat sich schnell herumgesprochen“, erzählt André Cramer. Doch auch sein eigenes Netzwerk brachte er mit: „Wenn du als Schwarze Person in Europa auf eine Modemesse gehst, gehörst du zu einer Minderheit. Man sieht sich, unterhält sich und irgendwann geht man miteinander essen – und dann kennt man sich.“

Zur Person

André Cramer verlässt mit 19 Jahren seine Heimat. Es folgen das willkürlich gewählte Saarbrücken, „einfach möglichst weit von der Grenze weg“, sowie Stationen in der Modebranche von Berlin, Düsseldorf, Regensburg und schließlich Hamburg. Was der Unternehmer denkt, wenn er heute über die Mönckebergstraße läuft und die vielen Werbeanzeigen sieht, auf denen jetzt auch viele People
of Color abgebildet sind? „Ich hätte mich als 12-Jähriger gefreut, diese Gesichter von Schwarzen Menschen in der Stadt zu sehen, weil es das damals einfach nicht gab. Mir wäre es aber noch lieber, wenn heutzutage nicht das Model, sondern der Produktmanager eines solchen Unternehmens Schwarz wäre.“ Mit dieser Mischung aus Pragmatismus und Idealismus gründet er mit La Tribune Noire ein Shopkonzept mit Alleinstellungsmerkmal in Deutschland. Und das am Tag der Arbeit – passend, findet der Unternehmer.

Ein Roadtrip bis zum Jupiter -

André Cramer

Gründer und Geschäftsführer bei La Tribune Noire

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