Initiativen derHamburg Kreativ Gesellschaft

„Wenn wir das Stören bestrafen, sind wir als Gesellschaft tot“

Kreative treiben die gesellschaftliche Transformation, wie der Journalist und Autor Wolf Lotter schreibt – aber in großen Unternehmen haben sie es oft schwer. Ein Gespräch über Neugier als wichtigste Ressource und das Ende der Routinearbeit.

„Wenn wir das Stören bestrafen, sind wir als Gesellschaft tot“ -

Herr Lotter, Ihrem Buch „Die Gestörten“ geht es um die Lage der kreativen Wissensarbeit. Sie beschreiben, dass Kreativität als Ausnahme, ja sogar als Störfall gesehen wird. Wobei stört sie uns Ihrer Ansicht nach?

Sie stört uns dabei, immer die gleichen Dinge zu tun, was eigentlich sehr gemütlich ist. Wir haben uns daran gewöhnt, immer die gleiche Arbeit zu machen, von neun bis fünf, keine Fragen zu stellen und der Transformation aus dem Weg zu gehen. Wir wollen keine Entscheidungen treffen. Kreative Wissensarbeit stört uns, weil sie Fragen stellt, weil sie neugierig ist und weil sie sagt: Es gibt eine Alternative zu diesem Leben, das zwar gemütlich ist, aber nicht zukunftsorientiert – und das ist nicht wahnsinnig beliebt.

Wo liegt Ihrer Meinung nach das größte Potenzial von kreativer Wissensarbeit? Warum ist es – wie Sie sagen – sogar eine Pflicht, zu stören?

Wir müssen in dieser Gesellschaft endlich verstehen, wie groß unser Potenzial an Innovationsfähigkeit ist. Das ist das, was die kreative Ökonomie für mich ausmacht. Sie ist der Stichwortgeber und das Leitbild für den Rest der Gesellschaft, die gerade oft ohnmächtig dasteht und nicht weiß, wo es hingeht. Wir können Dinge neu schaffen, wir können unsere Zukunft selbst gestalten, und wir können aus unserer Gegenwart lernen. Das ist das, was Kreative jetzt machen können und sollten.

„Es ist vor allem gefragt, zu experimentieren, nachzufragen, Fehler zu machen und es wieder zu versuchen. Also eigentlich die klassische Methode der Wissenschaft und auch der Kunst.“

Sie bemängeln oft die fehlende Neugier des Einzelnen und damit den Wunsch, Dinge zu verändern und neu zu schaffen. Warum ist uns diese Fähigkeit abhandengekommen?

Neugierde ist eine biologische Konstante. Alle Lebewesen haben Neugierde in sich – weil sie lernen müssen, sich an ihre Umwelt anzupassen. Menschliche Neugierde heißt, ich suche nach Verbesserungen für meinen Zustand. Das machen wir unentwegt, bewusst oder unbewusst. Wenn ich aber einen Menschen ständig bestrafe, weil er neugierig ist, dann passiert irgendwann nichts mehr. Menschen im Jobgefüge, die unbequeme Fragen stellen, Dinge hinterfragen und den routinierten Ablauf stören: Die werden ruhiggestellt – degradiert, nicht befördert. Dann ist es mit der Neugier schwierig, weil sie auf ein Minimum reduziert wird. Und irgendwann fällt uns nichts mehr ein. Wenn wir das Fragen, das Stören, bestrafen, dann sind wir als Gesellschaft tot.

Inzwischen scheint die „alte“ Wirtschaft aufgewacht zu sein – es werden Business Development Abteilungen geschaffen, Innovations- und Transformationsmanager*innen eingestellt. Glauben Sie, dass das funktioniert?

Es funktioniert nachweislich nicht. Diese Jobs entstehen, wenn versucht wird, Innovationen und Neugierde zu systematisieren. Tatsächlich ist vor allem gefragt, zu experimentieren, nachzufragen, Fehler zu machen und es wieder zu versuchen. Also eigentlich die klassische Methode der Wissenschaft und auch der Kunst: Wir probieren, wir lernen, wir bleiben bei der Sache. Aber das sind völlig andere Strukturen als diese No-Fail-Strukturen in der Industrie, denen solche Abteilungen und Manager oft unterstellt sind. Dort geht es eigentlich immer nur darum, einen bestimmten Prozess so zu optimieren, dass es nicht besser geht – aber es geht immer besser. Kreative wissen: Es gibt nichts, was nicht besser oder anders geht.

Wolf Lotter war im März 2024 zu Gast bei dem German Creative Economy Summit in Hamburg.
Wolf Lotter war im März 2024 zu Gast bei dem German Creative Economy Summit in Hamburg.
Wie die neue Normalität der kreativen Wissensarbeit aussieht, erfuhr das Publikum in Lotters Keynote.
Wie die neue Normalität der kreativen Wissensarbeit aussieht, erfuhr das Publikum in Lotters Keynote.

Wie sähe die Rolle von Kreativen in Ihrer Wunschvorstellung aus?

Meine Vision ist, dass Manager, die nur routinierte Arbeit wollen, ein Praktikum bei Kreativen machen. Um zu lernen, wie man Zukunft und Wissensarbeit gestaltet. Ich würde sehr dafür plädieren, dass das ein Pflichtpraktikum wird und wir als Kreative mit diesen Menschen dann großzügiger umgehen, als sie mit uns umgegangen sind, weil wir ihre Kreise gestört haben. Es braucht mehr Wertschätzung für Menschen, die der Gesellschaft auf die Sprünge helfen, damit die Transformation anläuft.

Die Hamburg Kreativ Gesellschaft beschäftigt sich viel mit dem Thema Cross Innovation – und bringt dafür Wirtschaftsunternehmen mit Kreativen zusammen, um aus der eigenen Bubble rauszukommen und kreativen Input von außen zu generieren. Ist das in Ihren Augen eine sinnvolle Alternative zur Innovationsabteilung?

Es ist ein gutes Mittel für den Anfang. Aber man muss weitergehen, sonst kratzt man nur an der Oberfläche. Man muss dranbleiben und sagen: Wenn wir über Transformation reden, werden wir uns darüber einig, dass es ein langer, schwieriger Prozess ist. Diese Transformation von der Industrie- zur kreativen Wissensgesellschaft ist ein zähes Ding und deshalb muss ich immer wieder versuchen, da reinzugehen. So wie ihr das macht.

„Die junge Generation ist vielfach schlauer. Sie sagen nämlich nicht mehr: Darf ich das? Sondern sie fragen: Warum geht das nicht?“

Aber was, wenn ein Unternehmen seit Jahrzehnten sehr erfolgreich ist und keine Veränderung nötig scheint? Die sagen sich doch: Es läuft doch alles gut, was soll das alles?

Ja, das ist auch menschlich. Leider sind wir die erste Generation in der Menschheitsgeschichte, die sich verändern muss, während es ihr gut geht. Das ist extrem schwer. Zukunftsforscher, Visionäre oder Utopisten, das sind großartige Bezeichnungen, aber sie alle haben eines gemeinsam: Sie sprechen von morgen und nicht von heute. Tatsächlich müssen wir uns aber heute die Situation angucken und fragen: Wie ist meine Lage jetzt? Was daran will ich beibehalten? Was muss ich tun, um das beizubehalten?

Ist das auch eine Generationsfrage? Werden die Unflexiblen nicht irgendwann aussterben und die Jungen viel schlauer sein, als wir es sind?

Ja, ich glaube, dass die junge Generation vielfach schlauer ist. Das sieht man schon an den Fragen, die sie stellen beim Eintritt ins Berufsleben. Sie sagen nämlich nicht mehr: Darf ich das? Sondern sie fragen: Warum geht das nicht? Wenn man dieses Fragen nicht mehr draufhat, wenn man nur fragt, was hätte gerne die Chefin und der Chef, dann ist die halbe Welt verloren. Diese oft sehr gescholtene Generation Z macht es völlig richtig. Sie sagt ganz einfach: Wir sind hier rar, ihr wollt, dass wir für euch arbeiten. Dann schafft bitte gute Rahmenbedingungen.

„Wenn KI nicht durch den Menschen gefüttert wird, wäre da gar nichts. Das ist das Grundverständnis, was wir haben sollten.“

Welche Entwicklungen sehen Sie für die Zukunft der kreativen Wissensarbeit, insbesondere vor dem Hintergrund sich verändernder Technologien? Werden Kreative irgendwann von KI ersetzt ?

Nein, KI wird die Kreativarbeit nicht ersetzen. Im Gegenteil, KI wird ihre Notwendigkeit klarer machen. Was künstliche Intelligenz tatsächlich kann, ist automatisieren, also formale Prozesse darstellen. Mehr nicht. Wenn KI nicht durch den Menschen gefüttert wird, wäre da gar nichts. Das ist das Grundverständnis, was wir haben sollten. Wir müssen Technologie umarmen und vor allem verstehen, wie sie funktioniert. Sie ist kein Wunder! Sie ist durch uns entstanden. Dieses Verständnis sollte Allgemeinbildung sein. Dann erst können wir anfangen zu sagen, was wir von ihr erwarten und was wir mit ihr machen. Ohne Angst. Das fehlt mir in der aktuellen Diskussion enorm.

Zum Schluss: Wie blicken Sie in die Zukunft?

Ganz klar optimistisch. Man muss zuversichtlich bleiben, auch wenn man nicht weiß, was passiert. Also einfach mal anfangen. Oder wie Clint Eastwood sagt: Wir reiten in die Stadt, der Rest ergibt sich.

Zur Person

Wolf Lotter schreibt seit vier Jahrzehnten über die Transformation von der Industrie zur Wissensgesellschaft und damit über das Ende der Routinearbeit und den Aufstieg der kreativen, persönlichen Tätigkeit. Er war Gründungsmitglied von brand eins und dessen langjähriger Leitessayist. Heute schreibt er Kolumnen, etwa für die Wirtschaftswoche und tazfutur2, und erfolgreiche Bücher, u.a. "Kreative Revolution", "Zusammenhänge", "Strengt Euch an" , "Die Gestörten", über kreative Wissensarbeit und "Echt. Über den Wert der Einzigartigkeit in einer Welt der Kopien" (Econ). Er ist Gründungsmitglied des pen berlin und Programmrat des ORF und Namenspatron und Botschafter des Ministeriums für Neugierde und Zukunftslust.

„Wenn wir das Stören bestrafen, sind wir als Gesellschaft tot“ -

Wolfgang Lotter

Autor und Journalist

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