Initiativen derHamburg Kreativ Gesellschaft

Welche Ideen haben Sie für Europas Zukunft, Dr. Christian Ehler?

Europa steckt in einer der größten Veränderungen seiner Geschichte. Europaparlamentarier Christian Ehler sieht die Kreativwirtschaft in einer Schlüsselrolle für den nachhaltigen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft.

Welche Ideen haben Sie für Europas Zukunft, Dr. Christian Ehler? -

Herr Dr. Ehler, Europa befindet sich im Dauerkrisenmodus. Warum überfordert uns gesellschaftlicher Wandel – etwa mit Blick auf Klimaschutz oder die digitale Transformation?

Wir haben Gesellschaften noch nie durch Regulierung oder rein durch Technologie verändert. Gesellschaften verändern sich nur durch ein sich veränderndes Narrativ. In Brüssel lernen wir gerade über Parteigrenzen hinweg: Ohne eine künstlerische, kreative und ästhetische Einordnung wird dieser Transformationsprozess nicht gelingen.

„Ursula von der Leyen hat mit dem New European Bauhaus eine beispiellose Initiative gestartet, die die Kreativwirtschaft zum Schlüsselmoment des Europen Green Deal macht.“

Ursula von der Leyen hat mit dem New European Bauhaus eine beispiellose Initiative gestartet, die die Kreativwirtschaft zum Schlüsselmoment des Europen Green Deal macht. Indem Kreative gemeinsam mit Wissenschaft und Technik an einer bereichernden, nachhaltigen, inklusiven Zukunft arbeiten.

Was Sie hier ansprechen, verhandeln wir unter dem Begriff Cross Innovation – dass Kreativschaffende ihre Innovationskraft in andere Branchen einbringen. Was braucht es aus Ihrer Sicht, um diesen Austausch weiter zu fördern?

Europa versucht Kultur in Forschungsprogramme zu integrieren und Förderpolitiken zu verknüpfen – um Kreativwirtschaft und Technologie wieder miteinander ins Gespräch zu bringen. Ich finde es problematisch, dass das Thema Kreativwirtschaftsförderung im Silo der Kulturpolitik verwahrt ist – und damit oft notorisch unterausgestattet ist. Und ich glaube, dass diese Crossover zwar inzwischen gewollt und auch gefördert sind, aber die ganz großen Angebote, die gibt es noch nicht. Das Interessante ist, dass in Deutschland so langsam ein Umdenken stattfindet. Also sich zum Beispiel gefragt wird: Inwiefern muss Technologie gesellschaftsdienlich sein? Kann Technologie-Entwicklung altruistisch sein? Diese Fragen in das Design von öffentlicher Förderung hineinzuschreiben und das zu diskutieren, das passiert mir viel zu wenig.

Was tut Europa denn dafür, die Potenziale der Kreativwirtschaft zu fördern?

Ich denke, 2,3 Milliarden Euro eigenständige Haushaltsmittel für Kreativwirtschaft und Innovation sprechen für sich. Das ist ein klares Zeichen, dass technologische Innovation und Kreativität Hand in Hand gehen müssen – und der größte Haushaltsaufwuchs im Forschungshaushalt der Europäischen Union. Außerdem baut Europa mit bis zu 300 Millionen Euro Förderung über die nächsten fünf Jahre das EIT Culture & Creativity auf. Das ist ein Expert*innen- Netzwerk, in dem Start-ups, Kreative und Hochschulen zusammenarbeiten.

„Ich denke, 2,3 Milliarden Euro eigenständige Haushaltsmittel für Kreativwirtschaft und Innovation sprechen für sich.“

Das sind Dinge, die für Europa eher ungewöhnlich sind, weil wir normalerweise Initiativen von Mitgliedsstaaten unterstützen. Aber jetzt sagt Europa: Wir brauchen selbst Instrumente, die über die reine Förderung hinausgehen. Wir wollen damit ganz klar einen Schritt weitergehen als Amerika oder Asien, wo man in Silos zwischen Kultur, Politik und Wirtschaft denkt und es nur wenige Brücken gibt.

In vielen Branchen der Kreativwirtschaft zeichnet sich ein großer Impact von KI ab. Die EU geht gerade weltweit voran, was die Regulierung der Technologie angeht. Was treibt diese Entwicklung aus Ihrer Sicht?

Bei der Regulierung von KI sollten vor allem große Konzerne im Fokus stehen, die über nationale Grenzen hinweg agieren – und bei denen immer auch die Gefahr der Manipulation besteht. Hier muss man genau hinschauen, wofür KI eingesetzt werden soll. Außerdem ist Bias ein Thema. Da KI auf den Daten basiert, mit denen sie gefüttert wird – bisher vor allem Daten aus einer weißen, westlichen, kapitalistischen Welt –, ist sie nie neutral. Weil KI in Zukunft Entscheidungsprozesse beeinflussen wird und Verwaltungsprozesse steuert, ist das ein wichtiges Thema.

„Da KI auf den Daten basiert, mit denen sie gefüttert wird – bisher vor allem Daten aus einer weißen, westlichen, kapitalistischen Welt –, ist sie nie neutral.“

In nicht-demokratischen Gesellschaften wie China könnte KI auch als Instrument sozialer Kontrolle eingesetzt werden, was internationale Aufmerksamkeit erfordert. Überregulierung birgt jedoch die Gefahr, kreative Prozesse zu ersticken, insbesondere bei kleinen Unternehmen und Start-ups mit künstlerischer Ausrichtung. Daher ist eine ausgewogene Regulierung notwendig, die Missbrauch verhindert, ohne kreative Entwicklungen zu behindern.

Die Kreativwirtschaft schafft Musik, Filme, Bücher, Architektur, Theater, Design und vieles mehr. Welches Erzeugnis der Branche hat Sie 2023 am meisten beeindruckt?

Ein Projekt auf der Ars Electronica hat mich sehr beeindruckt – gerade vor dem Hintergrund des Cross-Innovation-Gedankens. Das Projekt heißt Pollinator Pathmaker. Dabei geht es darum, mithilfe von KI Landschaften und Biotope für Pollinators, also Bienen, zu schaffen. Was ich daran so bemerkenswert finde, ist, dass künstliche Intelligenz nach Möglichkeiten sucht, Pflanzen so zu säen oder Biotope so zu entwickeln, dass sie für Bienen attraktiv sind. Und gleichzeitig entstehen sehr künstlerische und ästhetische Skulpturen, die für sich stehen. Es ist viel mehr als eine aufgehübschte Anwendung. Es ist ein Projekt, das einen altruistischen Ansatz verfolgt, einen Beitrag zur Biodiversität leistet und potenziell jedem einen Zugang zu diesem Thema bietet – und darüber hinaus Kunstwerke entstehen lässt.

Zur Person

Christian Ehler ist seit 2019 EVP-Koordinator im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie (ITRE). Stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Kultur und Bildung (CULT). Mitglied der Delegation für die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten und Stellvertreter in der Delegation für die Beziehungen zu Israel sowie der Delegation in der Parlamentarischen Versammlung der Union für den Mittelmeerraum.

Welche Ideen haben Sie für Europas Zukunft, Dr. Christian Ehler? -

Christian Ehler (Foto: Martin Lahousse, EP)

Abgeordneter im Europaparlament und Co- Vorsitzender der Arbeitsgruppe für Kultur und Kreativwirtschaft.

Mehr zum Thema

Wir verwenden Cookies, um externe Inhalte anzeigen zu können. Sie können unter “Einstellungen” der Erhebung von Nutzerdaten widersprechen. Weitere Informationen erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Wir verwenden Cookies, um externe Inhalte anzeigen zu können. Sie können unter “Einstellungen” der Erhebung von Nutzerdaten widersprechen. Weitere Informationen erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Ihre Einstellungen wurden gespeichert