Games in Hamburg: Wer spielt langfristig mit, Michelle Zou?
Hamburg ist ein Hotspot für die Spieleindustrie. Um als Studio relevant zu bleiben, muss man sich von Zeit zu Zeit neu erfinden, sagt Michelle Zou, Chief Executive Officer bei Bigpoint.
Hamburg ist ein Hotspot für die Spieleindustrie. Um als Studio relevant zu bleiben, muss man sich von Zeit zu Zeit neu erfinden, sagt Michelle Zou, Chief Executive Officer bei Bigpoint.
Frau Zou, Sie sind 2017 zu Bigpoint gekommen, kurz nachdem das chinesische Softwareunternehmen Youzu Interactive das Geschäft übernommen hat. Wie haben Sie die Entwicklung der Branche seither erlebt?
Das Wachstum der gesamten Branche hat alle vor große Herausforderungen gestellt. Die Konkurrenz ist enorm und nur ein kleiner Prozentsatz der neuen Spiele kann sich auf dem Markt durchsetzen. Die Spielebranche steht oft an der Spitze der technologischen Entwicklung – das bringt einen gewissen Druck mit sich, Trends zu folgen. Es kann dabei schwierig sein abzuschätzen, welche dieser Trends wirklich zum Industriestandard werden.
Wie geht Bigpoint mit diesem Druck um?
Wir haben uns in den vergangenen Jahren neu gefunden: Wir haben unsere Prozesse gestrafft, sind in ein neues, modernes Büro gezogen und haben eine Politik der Remote-Arbeit eingeführt, um unseren Mitarbeiter*innen so viel Freiheit wie möglich zu bieten. Während wir unsere bestehenden Spiele weiterhin unterstützen und aktiv weiterentwickeln, haben wir die Notwendigkeit erkannt, unseren Horizont zu erweitern, weshalb alle unsere Kernspiele auf neuen Plattformen erscheinen werden.
Die Gamesbranche reagiert extrem schnell auf Veränderungen. Wie schafft sie das?
Indem sie neue Technologien sehr schnell aufgreift – die Gamesbranche ist auf Innovation und Kreativität aufgebaut. Als Bigpoint gegründet wurde, waren wir einer der Ersten, die an Browserspiele und das Free-to-Play-Modell glaubten, und die Branche folgte diesem Beispiel, indem sie das Free-to-Play-Modell als Industriestandard annahm. Erfolgreiche Spieleentwickler*innen stehen außerdem in engem Kontakt mit ihren Spieler*innen, was rasche Anpassungen auf der Grundlage von Feedback und Trends ermöglicht.
Trotzdem war 2023 ein schwieriges Jahr für die Spieleindustrie. Sie haben auf Ihrer LinkedIn-Seite eine traurige Statistik veröffentlicht, in der Sie Spielestudios auflisten, die Mitarbeiter*innen entlassen mussten. Wie verändert das die Branche?
Perspektivisch werden wir wahrscheinlich erleben, dass die Branche weniger Risiken eingeht und sich an bewährte Konzepte hält. Langfristig gesehen ist die wichtigere Frage aber die der globalen Wirtschaft im Allgemeinen: Wir haben die Talente, die Ideen, die Leidenschaft – also wird es immer Spiele geben. Jetzt brauchen wir die Wirtschaft, um wieder in Spiele zu investieren, um große AAA-Projekte, also die mit dem größten Entwicklungsbudget, zu schaffen und um mehr Risiken eingehen zu können.
Wir beobachten die Situation in der Branche und es tut uns sehr leid zu sehen, wie viele talentierte Menschen im letzten Jahr ihren Job verloren haben. Wir können jedoch sagen, dass Bigpoint in einer ziemlich guten Verfassung ist, weshalb wir auf der Suche nach neuen Talenten sind.
Wie bleibt Hamburg ein attraktiver Standort für die Branche? Welche Rolle können Ihrer Meinung nach Netzwerke und Initiativen wie Gamecity Hamburg spielen?
Hamburg war schon immer eine sehr multikulturelle, offene und aufregende Stadt, was dabei hilft, Talente anzuziehen. Ein großes Plus ist natürlich auch, dass hier bereits viele Gamestudios und -dienstleistungen angesiedelt sind, sodass die Stadt von Anfang an die perfekte Infrastruktur bietet. Gamecity Hamburg hat sich außerdem sehr für unsere Branche eingesetzt und dazu beigetragen, sie zu einem festen Bestandteil der Hamburger Branchenlandschaft zu machen. Die Vernetzung und Angebote sind unbezahlbar. Initiativen wie Gamecity fördern gemeinsames Wachstum, ermöglichen eine gemeinsame Stimme gegenüber der (lokalen) Politik und dienen als Tore für die Zusammenarbeit mit Unternehmen außerhalb der Branche.
Wir haben über die letzten 20 Jahre gesprochen, lassen Sie uns einen Blick in die Zukunft werfen: Wie wird sich die Branche in den nächsten 20 Jahren entwickeln?
Wir werden sicherlich eine Weiterentwicklung von aktuellen Trends sehen, wie zum Beispiel KI, Virtual und Augmented Reality. Da immer mehr Headsets von verschiedenen Herstellern erhältlich sind und die Anwenderbasis weiterwächst, werden wir sicher mehr Spiele sehen, die speziell auf diese Geräte zugeschnitten sind. Ein weiterer wichtiger Punkt: Die Grenzen der Unterhaltung werden weiter verwischen. Meiner Ansicht nach stellen Spiele eine Verschmelzung verschiedener Kunstformen dar und verfügen über eine starke verbindende Kraft, die über Musik, Drehbücher oder visuelle Erfahrungen hinausgeht. In den vergangenen Jahren haben wir erlebt, wie herausragende filmische und literarische Werke in fesselnde Spiele umgewandelt und wie, andersherum, Spiele zu Filmen adaptiert wurden. Wer weiß, vielleicht schlüpfen wir sogar selbst in die Rolle von Protagonist*innen und beteiligen uns aktiv an der Schaffung von Spieleerlebnissen.
Welchen Wunsch haben Sie für die nächsten 20 Jahre?
Ich wünsche mir eine inklusivere und vielfältigere Gaming-Welt. Ich wünsche mir, dass künftige Spiele weltweite Vielfalt besser widerspiegeln, nicht nur in den Geschichten der Spiele, sondern auch in der Zusammensetzung der Entwickler*innen-Teams. Dazu gehört auch die gleichberechtigte Beteiligung von Menschen verschiedener Länder, Geschlechter, sozialer Herkunft und unterschiedlichen Alters an der Spieleentwicklung. Ein solcher Wandel wird Spiele zu einem mächtigen globalen Instrument zur Förderung des kulturellen Austauschs und Verständnisses machen.