Initiativen derHamburg Kreativ Gesellschaft

Die Zukunft neben dem Bücherregal

Mitarbeiter*innen der Bücherhallen haben im Cultural Innovation Lab Ideen für die Bibliothek der Zukunft entwickelt – und praktische Impulse für das Tagesgeschäft mitgenommen. Ein Besuch in der Zentralbibliothek, in der das Leben schon jetzt zwischen den Regalen spielt.

Die Zukunft neben dem Bücherregal -

Ein Schwarm Maikäfer-Roboter surrt über den sonnenwarmen Parkettboden der Zentralbibliothek. Ein Stück vor, Drehung links, ein Stück vor, Drehung rechts. Zwei Mädchen in Leggings dirigieren das Käferballett, ihre Grundschulklasse ist heute zu Gast im „Robolab“. Die Anleitung zur Dressur mechanischer Käfer gehört schon länger zum Aufgabengebiet der Mitarbeiterinnen in Hamburgs größter Bücherhalle, ebenso wie Bilderbuchkino oder das Hegen einer Ameisenkolonie. Denn was neben den Regalen passiert, ist für die Zukunft der Bibliothek mindestens so wichtig, wie der Bestand zwischen den Buchstützen.

Der Rundgang mit Bücherhallen-Direktorin Frauke Untiedt verläuft zügig, weil sie mit schnellen Schritten immer einen Treppenabsatz voraus ist. Wir begegnen: Menschen in bequemen Stühlen, von denen viele am Bildschirm lesen, krümelnden Kleinkindern im Café und einem debattierenden Paar älterer Zeitungsleser; in der Jugendbibliothek einem Pärchen, das über Biobüchern brütet, und vier Jungs in Winterjacke und Wollmütze, die Fifa auf der Playstation zocken.

Frauke Untiedt gilt unter Bibliothekarinnen als Digitalisierungs-Expertin.
Frauke Untiedt gilt unter Bibliothekarinnen als Digitalisierungs-Expertin.
Könnten vielleicht auch ein Bücherregal einräumen? Der Robot mit Teleskoparm und seine Roboterkollegen.
Könnten vielleicht auch ein Bücherregal einräumen? Der Robot mit Teleskoparm und seine Roboterkollegen.

Wer braucht überhaupt noch Wissen in Buchform?

„Wer hier arbeitet, sollte Spaß an den Leuten haben, die zur Tür reinkommen“, sagt Frauke Untiedt. Vor Beginn der Corona-Pandemie besuchten an einem normalen Wochentag 4.500 Menschen die Zentralbibliothek – „da sind wir noch nicht wieder ganz“. Aber seit dem Ende der Beschränkungen kommen viele wieder, seit November 2022 sind in den fünf Öffnungsstunden am Sonntag zwischen 2.000 und 2.400 Gäste im Haus. Daran gemessen sind die Bücherhallen eine der beliebtesten Kulturinstitution der Stadt.

„Wer hier arbeitet, sollte Spaß an den Leuten haben, die zur Tür reinkommen.“

Es ist erstaunlich, wenn man bedenkt, dass viele städtische Bibliotheken in den frühen Zweitausendern schon einmal so gut wie abgeschrieben waren. Wer braucht überhaupt noch Wissen in Buchform, in Zeiten des Internets – und dann gleich eine ganze Bücherhalle voll? Auch der Veränderungswillen der Bücherhallen, so berichtet es Frauke Untiedt heute, sei zunächst aus der Not geboren. Noch unter ihrer Vorgängerin im Amt wurden die öffentlichen Gelder für die Stiftung Hamburger Bücherhallen drastisch gekürzt, von 57 Standorten im Jahr 1995 waren 2009 noch 33 übrig, die bis heute existieren.

Um dem Sparkurs auch in bestehenden Häusern zu begegnen, setzte die Stiftungsleitung auf eine völlige Automatisierung des Kernbetriebs. In der Zentralbibliothek zeugt davon die große Sortiermaschine – hinter Glas im Foyer zu sehen – ebenso wie der Fakt, dass alle, wirklich alle Besucherinnen von Grundschule bis Rentenalter ihre Bücher selbst an einem Computer-Terminal ausleihen und zurückgeben müssen.

Grad nichts los: Im Winter ziehen sich die südspanischen Ernteameisen in ein warmes Röhrensystem zurück.
Grad nichts los: Im Winter ziehen sich die südspanischen Ernteameisen in ein warmes Röhrensystem zurück.
Hallo Nao: Der humanoide Roboter auf dem Arm von Frauke Untiedt ist der Star des bibliothekseigenen RoboLabs.
Hallo Nao: Der humanoide Roboter auf dem Arm von Frauke Untiedt ist der Star des bibliothekseigenen RoboLabs.

Freiräume für Innovation

„Erst durch den Wegfall stereotyper Aufgaben sind überhaupt die Freiräume entstanden, neue Dinge zu tun“, sagt Frauke Untiedt heute. Denn im Kern ging es schon immer um mehr als um Bücher.

Um genau dieses „mehr als“, um die Erweiterung der eigenen Perspektive und die Entwicklung neuer, komplementärer Geschäftsfelder geht es beim Cultural Innovation Lab der Hamburg Kreativ Gesellschaft. Programme wie diese unterstützen Organisationen dabei, neue Wege zu gehen. Schritt für Schritt wird das, was allgegenwärtig scheint, hinterfragt und mit Ideen konfrontiert, die so noch nicht gedacht wurden. Schnell entstehen neue Perspektiven und im Falle der Bücherhallen um Ideen für ganz neue Angebote.

„Erst durch den Wegfall stereotyper Aufgaben sind überhaupt die Freiräume entstanden, neue Dinge zu tun.“

„Der größte Wert am Cultural Innovation Lab ist, dass das Programm Menschen dazu bringt, über den Tellerrand zu schauen“, sagt Frauke Untiedt. Ein Team der Bücherhallen hatte sich im Dezember 2022 an dem Innovations-Programm beteiligt. In einem mehrtägigen Prozess entwickelten sie mit Unterstützung der Kreativ-Berater*innen Melanie Obrist und Ralf Harder konkrete Ansätze für neue Geschäftsmodelle –unter anderem im Kontext der Sharing Economy.

„Da ging es zum Beispiel um die Frage: Warum sollen wir nicht auch Dinge verleihen, die uns nicht gehören?“, sagt Frauke Untiedt. Einen ersten Erfahrungswert dafür gebe es schon. Für geflüchtete Menschen aus der Ukraine sammelten die Bücherhallen ukrainischsprachige Literatur aus privater Hand, als Leihgabe, bis die eigenen Bestände entsprechend aufgestockt sind. „Aber das könnte man natürlich weiterdenken“ – vom Verleih von Medien oder anderen nützlichen Dingen aus Privatbesitz, über flexiblere Rückgabe an Netzwerk-Orten, bis hin zur Automatisierung der Logistik – „wir bewegen ja jeden Tag große Mengen Material in der Stadt.“

Das Cultural Innovation Lab des Cross Innovation Hubs unterstützte öffentlich geförderte Kultureinrichtungen dabei, neue Geschäftsfelder zu entwickeln.

Im Workshop, sagt Frauke Untiedt im Rückblick, entstünden konkrete Vorschläge. Geschult werde aber auch eine Einstellung, neu über die eigenen Themen nachzudenken. Ein Ansatz, der in den Bücherhallen auf fruchtbaren Boden fällt. Zuletzt hat das Team die Öffnungszeiten der Stadtteilbibliotheken massiv erweitert, mithilfe eines automatisierten Zugangssystems. Wer heute um 21.30 Uhr in Lokstedt noch in die Bibliothek gehen möchte, öffnet sich die Tür einfach selbst. Vielleicht, um ein Buch auszuleihen. Oder auch nicht. Möglichkeiten gibt es genug.

Zur Person

Frauke Untiedt gilt unter Bibliothekarinnen als Digitalisierungs-Expertin, was bei Innovationsprozessen generell von Vorteil sein mag. Die gebürtige Norddeutsche ist in Warder aufgewachsen, einem winzigen Dorf in Schleswig-Holstein. Der Hof ihrer Großeltern ist heute ein Streichelzoo für Haus- und Nutztiere. Nach ihrem Studium arbeitete sie zunächst im Rheinland, leitete dort unter anderem die EDV-Abteilung der Stadtbüchereien Düsseldorf. 2007 kehrte sie dann in den Norden zurück, übernahm zwei Jahre später die Leitung der zentralen Bibliotheksdienste und 2017 die der Zentralbibliothek. Seit vier Jahren ist sie Direktorin der Stiftung Bücherhallen.

Die Zukunft neben dem Bücherregal -

Frauke Untiedt

Direktorin der Stiftung Bücherhallen

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