In einer globalisierten Welt wird die Fähigkeit zur Innovation immer wichtiger. Viele Unternehmen erkennen dabei zunehmend den Wert von Cross Innovationen. Hierbei kombinieren Branchen, die traditionell wenig miteinander zu tun haben, ihr Wissen und ihre Kompetenzen. Warum aber ist das wichtig? Wie genau können die Beteiligten voneinander profitieren? Und: Ist das wirklich etwas für jedes Unternehmen? In unserem Interview erklärt der Innovationsforscher des Fraunhofer-Zentrums für Internationales Management und Wissensökonomie (IMW) in Leipzig, Dr. Daniel Strecker, die Vorteile interdisziplinärer Zusammenarbeit, den Nutzen von Kreativschaffenden für andere Wirtschaftszweige und warum sich Cross Innovationen vor allem in Krisenzeiten lohnen.
Herr Strecker, was verstehen Sie unter Cross Innovation?
Strecker: Eine hundertprozentige Definition gibt es nicht. Ganz generell versteht man unter Cross Innovation die wechselseitige Befruchtung über alle Branchen, Gewerbe, Technologien hinweg. Die ursprüngliche Definition meint aber Impulse, die aus der Kreativwirtschaft in die reale Wirtschaft und Industrie überspringen. Das können unternehmensorganisatorische oder unternehmenskulturelle Neuerungen sein, wie z. B. die Kleiderordnung. Es kann sich aber auch um ganz konkrete Methoden, Konzepte und Produkte handeln, von Design Thinking über Marketingmodelle bis hin zu Ansätzen einer nachhaltigen Wirtschaftsweise.
Wo kommt das Prinzip denn überhaupt her?
Strecker: Der Begriff Cross Innovation wurde vor allem durch die IT-Gurus in den USA bekannt, die zur Jahrtausendwende angefangen haben, unterschiedlichste Technologiezweige miteinander zu verzahnen, z. B. Computer mit Kameratechnologien und Anlagenbau. Interessanterweise gab es aber schon viel früher solche interdisziplinären Ansätze: Sein Modell T ließ Henry Ford am Fließband fertigen. Damals, im Jahr 1908, kannte man das so nur aus der Fleischindustrie. Durch die Massenproduktion am Band wurde das Modell T zum ersten Automobil, das für die breite Bevölkerung erschwinglich war. 15 Millionen T-Fords rollten so über die Jahre aus den Werkshallen von Ford. Bis 1972 war es das meistverkaufte Automobil der Welt. Und all das, weil ein Mensch mal geschaut hat, was außerhalb seiner Blase so passiert.
Welche anderen Erfolgsbeispiele fallen Ihnen noch ein?
Strecker: Nun ja, denken Sie doch einmal an den DaVinci-Operationsroboter, der zum Beispiel an der Uniklinik in Jena im Einsatz ist. Vor 20 Jahren hätte das kaum jemand für möglich gehalten. Durch eine nahtlose Verknüpfung von Hochleistungssensoren, einer ausgeprägten Feinmotorik der Maschinen und mit Systemen, die tausende Daten sammeln und verarbeiten, ist das inzwischen Alltag. Dann ist da noch Assistenzsystem iDrive, das BMW in seinen Autos verbaut. Inspiration dafür waren die Joysticks und Controller aus der Gaming-Industrie. Unser Institut, das Fraunhofer IMW, hat gemeinsam mit anderen Fraunhofer-Instituten 2021 ein Start-up ecoSUP unterstützt, das ein nachhaltigeres Stand-up-Paddle-Board produzieren wollte. Das Ergebnis war ein spezieller Holzschaum mit einer Beschichtung, die robust ist und trotzdem ohne schädliche Chemikalien auskommt, wie bei vielen gängigen SUPs. Das Beste daran ist, dass diese Beschichtung auch für viele andere Produkte verwendet werden kann und damit einen Cross-Charakter aufweist.
Inwieweit können bei Cross-Innovationsprozessen die Kompetenzen aus kreativen Berufen nützlich sein? Deren Maßnahmen und Erfolge sind ja oft schwer messbar und können nicht wirklich mit konkreten Zahlen, Daten und Fakten belegt werden…
Strecker: Die Berufsgruppen der Kreativen sollte man nicht unterschätzen. Mir fällt da zum Beispiel der deutsche Designer Luigi Colani ein, der bekannt war für seine biomorphen Formen. Große Unternehmen wie Canon, Mazda und Villeroy & Boch haben sich von ihm Autos, Kameras und Toiletten gestalten lassen. Colani hat sogar Flugzeuge und Windkraftanlagen entworfen – Dinge, mit denen er eigentlich nie etwas zu tun hatte. Irgendwann waren seine Arbeiten so bekannt, dass es für Unternehmen auch schlichtweg imagewirksam war, ihn zu beauftragen. Aber auch die Zusammenarbeit mit weniger renommierten Kreativen kann viele Vorteile bringen. Expertinnen und Experten für 3D-Animationen können zum Beispiel digitale Zwillinge von geplanten Produkten erzeugen. So bekommt man ein sehr gutes Gefühl für den Look und die Haptik des Produkts, ohne aber eine Reihe teurer Prototypen herstellen zu müssen.
Hier bewegen wir uns noch im Produktbereich, konkret im Bereich des Designs und der Simulation. Welche weiteren Beispiele gibt es, in denen die Kompetenzen der Kreativwirtschaft gut eingebracht werden können?
Strecker: Ein weiteres Beispiel sind Kreative aus Bereichen wie Film, Musik oder Literatur, die ebenfalls eine wichtige Rolle spielen. Weil sie sich in ihrer Arbeit ständig mit Emotionen beschäftigen und für ihre Kunst die Sicht der Zuschauer*innen, Zuhörer*innen oder Leser*innen berücksichtigen müssen, fällt ihnen der Perspektivwechsel besonders leicht, den ein markttaugliches Produkt braucht. Immerhin soll es ja die Bedürfnisse von so vielen Kundinnen und Kunden wie möglich erfüllen. Und weil die Kreativen schon frühzeitig in den Entwicklungsprozess eingebunden sind und diesen mit ihren Erfahrungen auch ganz bewusst und gezielt mitgestalten, können sie – anders als klassische Werbeagenturen – das Narrativ um das jeweilige Produkt und dieses selbst gleich von Anfang an mitdenken. So werden Denkfehler im Konzept und in der Realisierung viel früher erkannt und können rechtzeitig behoben werden. Das macht das Produkt besser und auch seine Vermarktung erfolgsversprechender. Das alles lässt sich am Ende sehr gut tracken und messen, vor allem an den Umsätzen.