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Film in Hamburg: Zwischen großem Kino und Social-Media-Snippets

Hamburgs Filmbranche setzte zuletzt mehr als eine Milliarde Euro pro Jahr um – sieht sich aber mit Herausforderungen konfrontiert, wie dem Rückgang von Streaming-Produktionen. Ein Branchenüberblick.

Film in Hamburg: Zwischen großem Kino und Social-Media-Snippets -

Blick hinter die Kulissen

Der Fischmarkt, der Hafen, die Reeperbahn – als Filmkulisse macht Hamburg seit Jahren eine gute Figur. Auch das Filmfest Hamburg erreicht ein breites Publikum und gilt als wichtiger Branchentreff. Weniger sichtbar ist der „Maschinenraum“ der hiesigen Filmbranche: 3.554 Unternehmen beschäftigen sich mit Kino und Werbefilm, Fernsehen und Entertainment, Animation und Dokumentation. In Hamburg werden Filme entwickelt, es wird Regie geführt und gedreht, angekleidet, beleuchtet und gespielt. Hier werden Filme geschnitten, farbkorrigiert und vertont, vorgeführt, verliehen, vertrieben und in Social-Media-Kanälen gepostet.

8.001

Menschen arbeiten in Hamburgs Filmbranche.*

44,4 %

der Beschäftigten arbeiten selbständig.*

3.554

Unternehmen teilen den Markt unter sich auf.*

1 Mrd.

Euro Jahresumsatz.*

35

Kinos mit 91 Leinwänden – 2024 kommt das Multiplex Kinopolis in der HafenCity dazu.**

40,06 %

Anteil Frauen an den Gesamtbeschäftigten im Teilmarkt Film*

Unternehmen umfassen Unternehmen mit mehr als 22.000 Euro Jahresumsatz sowie Kleinunternehmen. Erwerbstätige sind sowohl SV-pflichtige als auch geringfügig Beschäftigte Personen, sowie Selbstständige.

*Goldmedia Standortmonitor, nach der Methodik des BMWK Kultur- und Kreativwirtschaft (Stand: 2021)
** „Das Kinojahr 2023“ der Filmförderungsanstalt FFA

Studio Hamburg ist eines der bedeutendsten Unternehmen der Szene: 1947 gegründet, ist die Gruppe mit rund 1.600 festen und freien Mitarbeitenden einer der größten Produktions- und Dienstleistungsunternehmen für Film und Fernsehen in Deutschland. Darüber hinaus betreiben bekannte amerikanische Studios wie Warner Bros. und Universal in Hamburg Tochterfirmen. Auf der anderen Seite des Spektrums Unternehmensgröße bewegen sich die vielen FreelancerInnen: Von den gut 8.001 Erwerbstätigen in der Filmszene ist fast jede*r Zweite*r selbstständig. Dieser Anteil ist in der Kreativwirtschaft nur im Design höher.

Perfekter Produktionsstandort

Zwischen Konzernen und Freischaffenden agiert ein Mix aus Gewerken, kleinen Produktionsfirmen, Casting- und Schauspielagenturen sowie Verleihen und Vertrieben. „Hamburg und Schleswig-Holstein sind eigentlich ein perfekter Produktionsstandort“, sagt Helge Albers, Geschäftsführer der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein GmbH, deren Kurzbezeichnung „MOIN“ vom englischsprachigen „Moving Images North“ kommt.

International sei Hamburg allerdings „nur bedingt konkurrenzfähig“. Fast das gesamte europäische Ausland böte attraktivere Anreizförderungen. „Hier müssen wir besser werden“, sagt Helge Albers. Viel hänge von der für 2024 auf Bundesebene geplanten Novelle des Filmförderungsgesetzes (FFG) ab. Zudem könnte Hamburg seine Nähe zu Skandinavien noch besser als Standortvorteil ausspielen, wie Albers sagt.

„Die Stoffentwicklungsförderung von MOIN zählt zu dem innovativsten ihrer Art hierzulande: Die Pitchverfahren sind unkomplizierter, Entscheidungen sind dezentralisiert worden, außerdem gibt es mehr Austausch und Workshops.“

Gaby Scheld, Filmagentur La Gente

Ansagen aus den USA

Befragt man Hamburger Filmschaffende zur Lage in der Branche, kommt das Gespräch schnell auf den Streaming-Markt. Die Budgets für Serienproduktionen waren jahrelang prall gefüllt. Drehbuchschreiber*innen, Regisseur*innen und Schauspieler*innen konnten sich in neuen Formaten und Erzählweisen ausprobieren. Aber nun kürzen Netflix & Co die Gelder. Der Wettbewerb um Zuschauer*innen ist härter geworden, die Herstellungskosten sind gestiegen. Anbieter wie Sky wollen gar keine fiktionalen Stoffe mehr in Deutschland produzieren.

Was das für die vielen Freischaffenden bedeutet, kann Gaby Scheld beurteilen. Mit ihrer Agentur La Gente vertritt sie mehrere Dutzend Regisseur*innen, Editor*innen und Drehbuchschreiber*innen im fiktionalen Bereich. „Wir spüren jetzt noch deutlicher, was in Amerika entschieden wird“, sagt sie. „Heißt es dort, die Zuschauer seien serienmüde, dann brechen hier die entsprechenden Aufträge weg.“ Aktuell seien wieder mehr Einzelstücke gefragt.

Auch die Arbeitsbedingungen sind Gaby Scheld zufolge durch die „Golden Years“ amerikanischer geworden. Hätten früher viele Produktionsteams fast immer bis zum Ende eines Projekts zusammengearbeitet, werde jetzt immer „jede Drehbuchfassung einzeln beauftragt“.

Gleichzeitig sei der Fachkräftemangel sehr präsent, vor allem im Film- und Serienbereich, sagt MOIN-Geschäftsführer Helge Albers. Um den Quereinstieg zu erleichtern, bieten MOIN, die Stadt Hamburg und die Hamburg Media School seit 2022 das duale Trainee-Programm „GetOnSet“ an. Mit Erfolg: Rund 85 Prozent der Trainees haben MOIN zufolge 2023 den Einstieg geschafft. Auch für die zweite Runde gab es gut 150 Bewerbungen. 12 Trainees schafften es ins Programm.

Wichtige Reform der Filmförderung

In der Postproduktion sorgt sich Benjamin Wüpper derweil um die Auftragslage. Er führt die Geschäfte bei Optical Art. Die Firma ist seit fast 40 Jahren auf Schnitt, Farbkorrektur und Mastering für Kino und TV–Filme spezialisiert. „Viele Dienstleister kämpfen um wenige Produkte,“ sagt Wüpper. Während die Preise für TV-Filme seit Jahren stagnierten, seien die Gehälter und Kosten gestiegen. Auch die Kolleg*innen vom Set würden über „nie gesehene Auftragslücken klagen“.

„Alle schielen jetzt auf die Reform der nationalen Filmförderung“, sagt Benjamin Wüpper. MOIN allein förderte 2022 Filmprojekte mit insgesamt 18 Millionen Euro. Rund die Hälfte ging an Kinofilme. „Hamburg holt aus vergleichsweise wenig Geld mehr raus“, lobt Wüpper. Wichtig für den Standort seien darüber hinaus auch der NDR und die anderen öffentlich-rechtlichen Anstalten. Mit der Novelle habe Deutschland nun etwa die Chance Steueranreize wie in Österreich zu setzen, sagt Wüpper – wichtig vor allem für große Filmproduktionen. Davon könnte auch Hamburg profitieren.

Was bewegt die Filmbranche?

Hier sprechen die Expert*innen

„Spätestens seit der Ankunft der Streamer und Finanzinvestoren muss sich die Branche neu ausverhandeln. Das gilt nicht nur für Deutschland, sondern ist ein weltweiter Prozess. In den USA machte es sich kürzlich durch die Streiks bemerkbar, bei uns schlägt es sich durch die spannenden Diskussionen um das neue Filmfördergesetz nieder.“

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Helge Albers (Foto: Jasper Ehrich Fotografie)

MOIN

„Die Digitale Revolution wird jeden Tag greifbarer und beim Thema KI reagiert die Branche auf zweifache Weise: Es gibt die, die Angst haben und die, die sich damit offensiv beschäftigen. Aber eines ist sicher: Mit alten Mitteln kommt man in dieser Branche nicht mehr lange sehr weit.“

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Gaby Scheld (Foto: Martin Walz)

La Gente

„Viele Kreative waren lange Zeit in Serienproduktionen eingebunden. Wir merken jetzt aber, dass die Streaming-Anbieter mit wirtschaftlichen Probleme kämpfen und die Kreativen sich wieder stärker den Kinoproduktionen zuwenden. Das ist wichtig, denn wir brauchen außergewöhnliche Filme für die Leinwand.“

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Matthias Elwardt (Foto: Heike Blenk)

Zeise-Kino

„Die KI bietet die Chance, beispielsweise das Synchronisieren von Bild und Ton deutlich effizienter zu gestalten und zu vereinfachen. Bestenfalls werden die Jobs, die durch die KI wegfallen, einfach in andere Bereiche des Produktionsprozesses umgeschichtet.“

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Benjamin Wüppers (Foto: Hannah Schaible)

Optical Art

Das Märchen vom Kinosterben?

Und wo werden die Filme am Ende geschaut? In Hamburg nach wie vor auch im Kino. Trotz Pandemie und Streaming-Angebot ist die Zahl der Kinos mit 35 stabil. 2024 soll sogar noch ein Multiplex dazukommen. Die Kinos verkaufen im Jahresvergleich wieder mehr Tickets (2023), aber immer noch weniger als vor der Pandemie (2019). Wird das Kino nun zum Nutznießer des Teilrückzugs der Streamingdienste?

Zeise-Chef Matthias Elwardt sagt, die Kinos bräuchten „Zugpferde“, um das Publikum von den Sofas zu locken. Aus Sicht der Programmkinos stünden in den kommenden Jahren schwierige Zeiten bevor. Keine Corona-Hilfen mehr, weniger Kino-Kritiken und steigende Kosten: „Wir heizen, ob Leute kommen oder nicht.“ Auch Mais und Zucker für das Popcorn seien wegen des Ukraine-Krieges etwa ein Drittel teurer. Etwas Hoffnung verbreitet der Zeise-Chef dann doch: „Außergewöhnliche Filme gehen ihren Weg.“ Das Justizdrama „Anatomie eines Falls“ mit Sandra Hüller in der Hauptrolle etwa sei als „Langläufer“ in der 10. Woche am erfolgreichsten im Zeise gewesen.

Doku, Kurzfilm und Snippets für Social Media

Dass sich auch abseits des großen Kinos etwas bewegt, zeigt ein Blick auf die Gründerszene. So werden in Hamburg im Verhältnis zur Beschäftigtenzahl im Bereich Film überdurchschnittlich oft neue Unternehmen gestartet, wie es in einem Dossier des Kompetenzzentrums Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes heißt. Mehr Crowdfunding-Projekte und interaktives Geschichten-Erzählen, mehr Kurz- und Dokumentarfilmprojekte mit kleinem Budget – so die bundesweiten Gründungstrends.

„Die nächsten Jahre werden vom Wandel der technologischen Prozesse bestimmt sein und von allen Beteiligten viel Agilität und Resilienz fordern.“

Helge Albers, MOIN Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein

Social Media bietet niedrigschwellige Geschäfts- und Ertragsmöglichkeiten. Hier lässt sich jederzeit ein Nischenpublikum ansprechen. Beim Werbefilm werden nicht nur TV-Spots produziert, sondern verstärkt auch kleine Snippets fürs Netz. Die Grenzen zwischen Film, Werbung, Journalismus und Gaming scheinen immer stärker zu verschwimmen.

KI-Mammuts in Schnee

Neue Technologien, allen voran die Künstliche Intelligenz (KI), wälzen den Markt zusätzlich um. „KI nimmt jetzt richtig Fahrt auf“, sagt Agenturchefin Gaby Scheld. Je klarer die Vorgaben, desto mehr Arbeit werde von Mensch zu Maschine wandern. Das Drehbuchschreiben für Vorabendserien beziehungsweise Dailys und Weeklys etwa. „Aber die Qualität von 4-Blocks liefert die KI nicht – bislang!“

Bestenfalls, so Optical-Art-Chef Benjamin Wüpper, erleichtere die KI auch seinen rund 20 Angestellten irgendwann die arbeitsintensiven Schritte und lasse ihnen mehr Zeit für die kreativen Dinge. Als Beispiel nennt er das Synchronisieren von Bild und Ton, die am Set getrennt aufgenommen werden. Bislang fügen Schnittassistent*innen beides zusammen. Auch das Synchronisieren fremdsprachiger Filme werde sich wandeln. Deutschland sei „das Dubbing-Land überhaupt“, so Wüpper. Aber die Einführung neuer Sprach-Tools werde auch diesen Markt signifikant verändern. Schon heute lassen sich mit Apps die Stimmen von Promis imitieren.

Open AI überraschte im Frühjahr 2024 mit Trickfilm-Clips von tanzenden Kängurus und Mammuts im Schnee, die nur durch die Eingabe einfacher Textbefehle in das KI-Modell „Sora“ entstanden sein sollen. Es gehe Schlag auf Schlag, sagt Benjamin Wüpper. „Jede Veröffentlichung ist eine kleine Revolution“.

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