Initiativen derHamburg Kreativ Gesellschaft

Business as usual? Über einen Mittelständler, der ausbricht

Medizintechnikprodukte wie die Externe Ventrikeldrainage (kurz: EVD) verkaufen sich gut, nicht zuletzt weil der Hersteller Spiegelberg als kleiner Mittelständler "Tradition Made in Germany" verspricht. Doch Tradition bedeutet oft auch hohe Fertigungskosten und veraltetes Design. Zeit für eine Veränderung.

Business as usual? Über einen Mittelständler, der ausbricht -

Medizinprodukte gibt es viele: Angefangen beim einfachen Pflaster, über OP-Besteck bis hin zu Geräten aus der Neurochirurgie wie dem EVD-Set von Spiegelberg - ein Hersteller für Medizintechnik aus Hamburg mit 55 Angestellten. EVD steht für Externe Ventrikeldrainage und kommt zum Einsatz, wenn es im Schädel eng wird. Für Unfallopfer, Menschen mit Hirntumor oder Trauma-Patient*innen kann die Ventrikeldrainage eine lebensrettende Maßnahme sein. Sammelt sich an einer Stelle im Gehirn zu viel Hirnwasser an, wird es schnell lebensgefährlich. Mit dem EVD-Set wird der Druck im Gehirn gemessen und überschüssiges Wasser abgeleitet. Unter Neurochirurgen ist das Produkt bekannt. Die Drainage ist seit langem auf dem Markt und verkauft sich gut, nicht zuletzt weil Spiegelberg als kleiner Mittelständler eben auch "Tradition Made in Germany" verkauft. Doch Tradition bedeutet oftmals auch hohe Fertigungskosten und altes Design. Diese Gemengelage hat Stefan Paschko, Geschäftsführer bei Spiegelberg, im Frühjahr 2022 dazu bewegt, das EVD-Set einem Facelifting zu unterziehen. Kleiner, schöner und sicherer sollte es werden. Eine Lösung fand er im im Cross Innovation Lab.

Eine Verordnung setzt die Branche unter Druck

Eine äußerst ungewöhnliche Entscheidung für einen Medizintechniker zu diesem Zeitpunkt. Denn die Branche steht seit einem Jahr enorm unter Druck. Verantwortlich dafür ist eine EU-weite Verordnung, die die Zulassungskriterien für Medizinprodukte deutlich verschärft. Sie gilt jedoch nicht nur für neue Produkte, die auf den Markt sollen, sondern auch für alle Bestandsprodukte. Expert*innen schätzen, dass sich Zulassungskosten verdreifachen, der bürokratische Aufwand sogar verzehnfacht. Bis es zu der Verordnung kam, vergingen vier Jahre. Jetzt muss jeder Hersteller bis 2024 die komplette Produktpalette neu zertifizieren lassen, auch Spiegelberg. Für den Hamburger Mittelständler und seine Mitarbeiter*innen heißt das: Alles on hold, längst etablierte Produkte erneut testen, Daten überprüfen, Berichte schreiben und wieder testen. „Das sind wahnsinnige Kosten, und ich bekomme auch gar nicht all die Leute an Board, um das überhaupt zu schaffen,” erklärt Stefan Paschko. So wie ihm ergeht es vielen in der Branche.

Die verantwortliche EU-Kommission sieht mit Blick auf diese Entwicklung keinen Handlungsbedarf. Zuletzt äußerte sich die Brüsseler Behörde so: "Die neue Medizinprodukte-Verordnung ist […] reibungslos in Kraft getreten, und die Kommission erwartet, dass die neue Verordnung ein stabiles Umfeld für eine innovative und wettbewerbsfähige Medizintechnik-Industrie in Europa bieten wird." Wirtschaftsexpert*innen sehen das anders. Die neue Verordnung bedrohe die Existenz vieler KMU. Auch künftige medizintechnische Innovationen könnten ausgebremst werden.

„Ich möchte auch mal mutig an etwas herangehen und nicht immer gleich mit Einschränkungen konfrontiert werden.”

Stefan Paschko, Spiegelberg

Davon ist auch Stefan Paschko überzeugt. Schon vor der Verordnung sei es in der Medizintechnik langsam und konservativ vorangegangen. Produkteinführungen dauerten in der Branche meist 5-10 Jahre und das nicht nur von der Produktion her, sondern auch vom System der Verbraucher*innen. Ärzt*innen und Pflegepersonal müssten bei jeder Markeinführung an das neue Produkt gewöhnt und angelernt werden. Das kostet Zeit. Durch die zusätzliche Dokumentation aller Bestandsprodukte wird Innovation im Unternehmen jetzt zur Ausnahme. Jedes Projekt, jede neue Idee rückt auf die Wartebank. Für Mitarbeiter*innen aus der Entwicklung bedeutet der bürokratische Mehraufwand das Verpassen entscheidender Technologieentwicklungen auf dem Markt. Um der Motivation seiner Angestellt*innen einen Boost zu verleihen, meldete sich Stefan Paschko deshalb mit zwei Entwicklerinnen und den Vertriebsleiter zum Cross Innovation Lab an. Hier traf das Team auf die beiden Kreativen Gerrit Kuhn und Sophie Heins, die gemeinsam mit Spiegelberg den Facelift des EVD-Sets umgesetzt haben. “Wir bewegen uns hier in einem sehr kleinen Kosmos, schwimmen immer in der eigenen Suppe, besonders jetzt durch die ganzen Tests und die zusätzliche Dokumentation. Ich möchte meine Mitarbeitenden jedoch nicht immer nur an Dokumenten arbeiten lassen und wollte sie gern an einem anderen Prozess teilhaben lassen, in dem sie kreativ und mit Externen arbeiten können.”

Mit dieser Einstellung ist Stefan Paschko einer unter den wenigen Geschäftsleiter*innen im Mittelstand, die den Schritt wagen und das Business as usual verlassen. Für viele ist die Hürde für eine Teilnahme an extern geleiteten Innovationsprozessen noch groß. Hinter Formaten wie dem Cross Innovation Lab befürchtet man ungeahnte Kosten und zu lange Pausen auf internen Projekten. Schnell machen sich Zweifel breit. Auch unter den Mitarbeiter*innen. Die Zusammenstellung seines Teams hat Stefan Paschko deshalb ganz bewusst getroffen. “Ich glaube, dass es für viele am einfachsten ist, das Gewohnte immer zu wiederholen. Vielfach auch aus Angst vor Entscheidungen. Das möchte ich nicht. Ich möchte auch mal mutig an etwas herangehen und nicht immer gleich mit Einschränkungen konfrontiert werden.”

Das nächste Ziel: Zwei Prototypen zur Marktreife bringen

Das ist ihm und seinem Team gelungen. Neben Impulsen zu Vertrieb, Branding und Nachhaltigkeit ging Spiegelberg mit zwei verschiedenen Prototypen aus dem Lab heraus. Die erste Variante stellt eine Verfeinerung und kluge Reduzierung des Ausgangsproduktes dar: Durch verschiedene Design-Kniffe konnten Bauteile reduziert, eine klare und sichere Handhabung unterstützt und eine klare Produktsprache gefunden werden. Die zweite Variante verspricht ein minimales Packmaß und einen starken USP gegenüber der Konkurrenz - mehr kann an dieser Stelle nicht verraten werden. Beim unternehmensinternen Abschluss-Abend konnte das Team selbst kritische Stimmen überzeugen. Das nächste Ziel ist jetzt, die Prototypen durch verschiedene Design- und Zulassungsphasen weiterzuentwickeln und zur Marktreife zu bringen.

Stefan Paschko ist Diplom-Ingenieur und Geschäftsführer bei Spiegelberg. Nach dem Studium zum Maschinenbauer hat er im Laserzentrum Hannover gearbeitet und ist dort über ein Forschungsprojekt zum Einsatz von Nitinol-Stents in den Bereich der Medizintechnik gekommen.

 – Hamburg Kreativ Gesellschaft

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