Initiativen derHamburg Kreativ Gesellschaft

„Wir müssen jetzt pragmatischer ansetzen“

Bürokratie hemmt Kreativität, da sind sich (fast) alle einig. Warum es sie trotzdem gibt und wie Kreative sich an ihrem Abbau beteiligen können, erklärt Dr. Sonja Boss. Die Rechtsanwältin übersetzt EU-Richtlinien für deutsche Tageszeitungsverlage in nationales Recht und fordert Mut zum Mut – und zur Lücke.

„Wir müssen jetzt pragmatischer ansetzen“ -

Bürokratie entsteht nicht im luftleeren Raum oder aus bösem Willen. Warum ist es hierzulande so bürokratisch?

Dr. Sonja Boss: Das hängt damit zusammen, dass wir als Demokratie in Deutschland drei Gewalten haben und als Mitglied der Europäischen Union noch mal in diesem größeren Kreis eingebunden sind. Da gibt es natürlich Gesetze, die unser Zusammenleben regeln. Und ich finde es auch wichtig, zu betonen, dass der Gesetzgeber es grundsätzlich gut meint, wenn er ein Gesetz auf den Weg bringt. Er steht also nicht morgens auf und fragt sich: Welche Branche ärgere ich heute? Die Frage ist nachher die Umsetzung – es ist das Wie, nicht das Ob, das es schwierig macht. Und das gilt in den letzten Jahren besonders.

Weil wir als Deutsche, und das war ja eine Konklusion des Panels hier auf dem Summit, besonders dazu neigen, alles richtig machen zu wollen – das ist unsere deutsche DNA. Wir wollen jeden Einzelfall abbilden und das ist manchmal objektiv unmöglich. Da fehlt der Mut, eine solche Lücke zuzulassen und auszuhalten.

Und wie beeinflussen diese bürokratischen Hindernisse dann die tägliche Arbeit von Kreativunternehmen?

Boss: Weil gesetzlicher Umsetzungszwang besteht – und das auch unter Bußgeldtatbestände gestellt ist. Für die Umsetzung bürokratischer Maßnahmen geht Zeit verloren, die man eigentlich in sein Tagesgeschäft und die kreative Arbeit stecken würde. Und damit wird die Kreativität natürlich massiv behindert und der kreative Fluss gehemmt.

„Für die Umsetzung bürokratischer Maßnahmen geht Zeit verloren, die man eigentlich in sein Tagesgeschäft und die kreative Arbeit stecken würde.“

Welche konkreten Beispiele bringst du denn aus deiner Arbeitspraxis mit? Welche Fragestellungen landen auf deinem Tisch?

Boss: Bei mir landen die EU-Richtlinien und die Frage nach der Umsetzung in nationales Recht. Ich übersetze, was ein europäisches Gesetz für die deutschen Tageszeitungsverlage bedeutet. Das ist ein großer Teil meiner Tätigkeit.

Viel diskutiert wurde zum Beispiel die Entwaldungsverordnung. Sie soll sicherstellen, dass die Lieferkette, von dem Moment des Baumfällens bis zum Endverbrauchenden nachvollziehbar ist. Was auch viele Unternehmen beschäftigt, ist das Hinweisgeberschutzgesetz, also die sogenannte Whistleblower-Richtlinie, also, dass anonym Verstöße innerhalb eines Unternehmens gemeldet werden können.

Das sind per se gute und richtige Ansätze. Aber es birgt für die Unternehmen ein wahnsinniges Vorhalten von Infrastruktur. Da ist jetzt beispielsweise jedes Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitenden verpflichtet, diese Richtlinie umzusetzen. Entweder tun sie das selbst oder sie begeben sich in die Hände eines externen Dienstleisters, der dann 200 Euro jeden Monat dafür abrechnet und wenn ein Fall reinkommt, rechnet er nochmal 500 Euro ab. So entstehen Kosten.

Dr. Sonja Boss auf dem German Creative Economy Summit im März 2025. Foto: Jan-Marius Komorek
Dr. Sonja Boss auf dem German Creative Economy Summit im März 2025. Foto: Jan-Marius Komorek

Ein Ansatzpunkt, der im Panel diskutiert wurde, waren Schwellenwerte. Kannst du das ausführen?

Boss: Genau, die Gesetze haben meistens diese Schwellenwerte, zum Beispiel für kleine und mittelständische Unternehmen – das bedeutet, dass Gesetze erst ab einer bestimmten Unternehmensgröße greifen. Da hat der Gesetzgeber schon erkannt, dass es zu viel Bürokratie für kleinere Unternehmen wäre. Jetzt sind aber meines Erachtens diese Schwellenwerte zu gering, wir müssten sie höher ansetzen. Das wäre ein kleines und schnelles Hilfsmittel.

Hast du noch weitere Ansatzpunkte, wie Bürokratieabbau jetzt und schnell funktionieren könnte?

Boss: Dazu kommen von verschiedenen Instanzen unterschiedliche Ideen. Die großflächige Arbeit mit Ausnahmefällen ist auf jeden Fall ein ganz schneller und einfacher Schritt. Da muss man eben gucken, ob wir das mit unserer deutschen DNA aushalten können, die ja immer jeden Einzelfall erfassen will.

Und das ist natürlich auch eine politische Frage. Leben wir in Zeiten, die es uns erlauben, bis ins letzte Detail alles zu regeln? Das ist sicherlich wünschenswert und auch immer das Ziel. Aber wir müssen jetzt ein bisschen pragmatischer ansetzen. Es müssen gar nicht unbedingt Fälle unberücksichtigt bleiben – es geht eher darum, dass wir erstmal den Gesetzesvorgang starten, abwarten, evaluieren und dann Nachbesserungen machen.

Zur Person

Dr. Sonja Boss leitet seit 2012 die Rechtsabteilung und Tarifpolitik des Bundesverbandes Digitalpublisher und Zeitungsverleger e. V. in Berlin und übernahm 2016 auch die Geschäftsführung des Verbandes der Zeitungsverlage und Digitalpublisher e. V. für Norddeutschland und für Hamburg. Sie hat an den Universitäten Passau, Lausanne und Hamburg studiert und an der Freien Universität Berlin promoviert.

„Wir müssen jetzt pragmatischer ansetzen“ -

Dr. Sonja Boss

Rechtsanwältin und Fachanwältin für Arbeitsrecht

German Creative Economy Summit 2026

 Hamburg Kreativ Gesellschaft

Dr. Sonja Boss war im März 2025 zu Gast auf dem German Creative Economy Summit und hat dort spannende Impulse zur Zukunft der Kreativwirtschaft gesetzt. Wenn dich das Interview interessiert, solltest du unbedingt den Summit 2026 auf LinkedIn und Instagram im Blick behalten – dort gibt es wieder Raum für vertiefte Gespräche und neue Perspektiven.

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