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Wie wird Stadtplanung zugänglicher?

Wie lässt sich eine klimafreundliche und partizipative Stadtplanung besser umsetzen? Architektin Marta Toscano und Ökonom Alexander Werle wagen ein Experiment.

Wie wird Stadtplanung zugänglicher? -

Ihr kommt aus unterschiedlichen Fachbereichen. Marta aus der kooperativen Stadtentwicklung, Alex mit einem starken Fokus auf digitale Gebäudedaten. Was verbindet euch?

Marta Toscano: Unser gemeinsames Ziel ist, den Bestand als wertvolle Ressource zu betrachten und die Stadtplanung so zu gestalten, dass sie von Anfang an auf belastbaren Informationen basiert. Oft werden wichtige Aspekte zu spät bedacht, was ganze Planungsprozesse obsolet machen kann.

Alex Werle: Daten und Partizipation müssen zusammenkommen, damit die Umbaukultur wirklich funktioniert. Wenn wir präzise Gebäudedaten mit einer aktiven Einbindung der Bürger*innen kombinieren, können nachhaltige und tragfähige Lösungen entstehen.

Marta Toscano und Alexander Werle möchten Stadtentwicklung effizienter gestalten. © Jan-Marius Komorek
Marta Toscano und Alexander Werle möchten Stadtentwicklung effizienter gestalten. © Jan-Marius Komorek

Warum ist es aus Eurer Sicht wichtig, bestehende Gebäude zu erhalten, anstatt sie abzureißen?

Toscano: Wir können es uns einfach nicht mehr leisten. Weder ökologisch, noch ökonomisch, noch sozial.

Werle: Der Bausektor ist für 40% der globalen CO2-Emissionen verantwortlich und produziert 60% des weltweiten Abfalls.

Toscano: Bestehende Gebäude enthalten immense Mengen an CO2, das bereits bei ihrer Errichtung freigesetzt wurde. Wenn wir alles abreißen und neu bauen, vervielfachen wir den Fußabdruck. Aber es geht nicht nur um CO2. Städte sind Erinnerungsorte. Abriss bedeutet immer auch Identitätsverlust.

"Es geht nicht nur um CO2. Städte sind Erinnerungsorte. Abriss bedeutet immer auch Identitätsverlust."

Werle: Umbau und Weiterentwicklung sind in den meisten Fällen mit hohen Risiken verbunden. Denn oft fehlt es an einer objektiven Datenbasis, um das Potenzial eines Gebäudes zu erkennen. Genau hier setzen wir mit präziser Bestandserfassung an, um fundierte Entscheidungen zu ermöglichen und damit Risiken zu reduzieren.

Wie erhebt ihr die Daten?

Werle: Wir nutzen heute verschiedene Methoden der 3D-Bestandsaufnahme, da jedes Gebäude und Projekt unterschiedliche Anforderungen an die Daten stellt. Je nach Bedarf kommen mobile, stationäre oder drohnengestützte Scans zum Einsatz. Damit können wir analysieren, welche Materialien verbaut wurden, wie ein Gebäude strukturiert ist und welches Potenzial es für Umbau oder Nachnutzung hat. Diese Daten helfen nicht nur Planer*innen, sondern auch Bürger*innen, sich eine realistische Vorstellung von ihrem Quartier zu machen.

Toscano: Bisher werden Bestandsgebäude oft erst sehr spät in der Planung erfasst. Doch wenn wir präzise Daten schon in der Phase Null, also vor Beginn der Planung, einbinden, dann können Bürger*innen informierter mitentscheiden. Städte könnten so viel transparenter und nachhaltiger mit ihrem Bestand umgehen.

Marta, du arbeitest viel mit Beteiligungsprozessen. Wie kann man Bürger*innen am Besten mit einbinden?

Toscano: Ich spreche lieber von Co-Produktion als von Beteiligung. Denn Beteiligung ist ein allgemeiner Begriff, der mit unterschiedlichen Stufen der Teilhabe verbunden ist. Darunter könnte auch nur Information oder die Abfrage von Meinungen verstanden sein, die am Ende doch keine Rolle spielen. Wir arbeiten anders. Wir setzen auf direkte Mitgestaltung. Zum Beispiel mit händischen Modellen, die Bürger*innen ohne Vorkenntnisse oder hohen Bildungsgrad selbst bauen können.

"Beteiligung braucht klare Spielräume, sonst führt sie nur zu Frust."

Wichtig ist auch die Ansprache. Viele Menschen haben keinen Zugang zu planerischem Wissen. Deshalb müssen wir einfache Sprache verwenden, visuelle Darstellungen nutzen und Methoden finden, die niemanden ausschließen. Beteiligung muss raus aus den Sitzungssälen und dahin, wo die Menschen sind. Auf die Straße, in Cafés oder in Schulen.

Kann sich dann jede*r einfach etwas wünschen?

Toscano: Nein, und es ist wichtig, das von vornherein zu kommunizieren. Beteiligung braucht klare Spielräume, sonst führt sie nur zu Frust. Wir möchten frühzeitig prüfen, welche Vorschläge umsetzbar sind und was für die Mehrheit funktioniert. Dafür haben wir ein Experiment ins Leben gerufen.

Wie genau funktioniert das in der Praxis?

Werle: Unser Experiment kombiniert physische Modelle mit digitalen Gebäudedaten. Einerseits gibt es messbare Fakten wie Geometrie, Materialien und Strukturen. Andererseits gibt es subjektive Wahrnehmungen wie Erinnerungen, Sicherheitsgefühle und ästhetische Eindrücke. Wir bringen beides zusammen.

Toscano: Menschen können ihre Stadt in Modellen umgestalten, während digitale Tools gleichzeitig zeigen, welche Auswirkungen das auf Licht, Raumgefühle oder Sicherheit hat. Das ist interaktiver und realitätsnäher als ein Grundriss oder ein abstrahiertes Modell in kleinem Maßstab.

Menschen können ihre Stadt in Modellen umgestalten...
Menschen können ihre Stadt in Modellen umgestalten...
...während digitale Tools gleichzeitig zeigen, welche Auswirkungen das auf Licht, Raumgefühle oder Sicherheit hat.
...während digitale Tools gleichzeitig zeigen, welche Auswirkungen das auf Licht, Raumgefühle oder Sicherheit hat.

Welche Vorteile hat das?

Werle: Es ermöglicht, städtebauliche Fragen direkt zu testen. Entstehen dunkle Angsträume? Sind Freiräume gut nutzbar? Solche Aspekte lassen sich digital simulieren und mit den Erfahrungen der Menschen abgleichen.

Was muss politisch passieren, damit klimafreundliche Stadtentwicklung vorankommt?

Toscano: Die Phase Null, also die frühe Beteiligung vor der Planung, muss verpflichtend werden. Heute ist sie oft nur freiwillig, was dazu führt, dass Beteiligungsergebnisse später ignoriert werden.

Werle: Außerdem brauchen wir flexiblere Baugesetze. Viele Umbauprojekte scheitern an veralteten Vorschriften, die nicht mehr zeitgemäß sind.

Toscano: Das ist richtig. Wenn zum Beispiel ein Parkhaus zu Wohnraum umgebaut werden soll, müsste man die Decken dämmen. Dadurch verringert sich aber die Raumhöhe – oder die Dämmung stimmt nicht. Nach den geltenden Vorschriften darf Wohnraum erst ab einer Mindesthöhe von 2,40 Metern entstehen. Wenn die Höhe durch die Dämmung wenige Zentimeter darunter liegt, oder der Dämmwert zu schlecht ist, macht das eine sinnvolle Umnutzung nicht möglich und das Gebäude wird zum Abrisskandidaten.

Was sind eure Hoffnungen für die Zukunft?

Werle: Es ist wichtig, dass digitale Gebäudedaten konsequent genutzt werden, um faktenbasierte Entscheidungen zu treffen. Wir brauchen eine bessere Datengrundlage, um Nachhaltigkeit im Bestand zu ermöglichen.

Toscano: Mein Wunsch ist, dass Menschen wirklich mitgestalten können. Stadtplanung darf nicht im stillen Kämmerlein stattfinden. Die Menschen vor Ort müssen mitentscheiden, wie ihre Stadt sich entwickelt, und zwar auf Basis von Wissen, nicht nur auf Basis von Vermutungen.

Zu den Personen

Marta Toscano ist Architektin, Urbanistin und Mitbegründerin des Planungsbüros Studio Malta. Sie beschäftigt sich mit der Verbindung von Planung, Beteiligung und Bildung und entwickelt Prozesse, die eine ko-kreative Stadtentwicklung ermöglichen. Zudem forscht sie beim vhw – Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung e.V. zu neuen Formen der gemeinsamen Stadtgestaltung.

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Marta Toscano

Architektin, Urbanistin, Mitbegründerin @Studio Malta

Alexander Werle ist Ökonom und Designer und Mitgründer des Unternehmens orto. Seine Arbeit konzentriert sich auf die Analyse und nachhaltige Nutzung von Bestandsgebäuden. Zuvor war er als Strategieberater tätig und unterstützt heute mit orto die Transformation von Gebäuden wie der ehemaligen Kindl-Brauerei oder dem Silent Green in Berlin.

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Alexander Werle

Ökonom, Designer, Mitbegründer @orto

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