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Was Senior-Kreative von der Gen Z lernen können – und andersherum

Sinnhaftigkeit, Verbindlichkeit und Druck – die Juniors und Seniors der Kreativwirtschaft blicken unterschiedlich auf diese Faktoren. Ein Problem ist das nicht, finden Ingmar Bartels und Patrik Sünwoldt.

Was Senior-Kreative von der Gen Z lernen können – und andersherum -

Welche Erwartungen an Job und Arbeitsumfeld hat denn die Gen Z und welche bringen Senior-Kreative mit?

Patrik Sünwoldt: Ich habe den Eindruck, dass sich die Arbeitsmoral nicht so stark unterscheidet, wie es manchmal klischeehaft dargestellt wird. Was man jedoch sieht: Jüngere gehen viel stärker auf Sinnsuche. Sie wollen wissen, was hinter den Firmen steckt, für die sie arbeiten.

Aber auch die gesamte Arbeitswelt verändert sich. Als ich bei Jung von Matt war, herrschte ein anderer Druck, da haben einfach 40 Leute auf deinen Job gewartet. Wenn du ihn nicht gemacht hast, hat ihn jemand anderes gemacht. Das ist heute nicht mehr so. Der Markt hat sich deutlich in Richtung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gedreht und sie wissen, dass sie heute mehr Macht haben. Es gibt einfach viel mehr Möglichkeiten und auch ein viel größeres Bewusstsein für diese Möglichkeiten.

Ingmar Bartels: Ein Beispiel aus einem ganz anderen Kontext: Die Lehrerin meiner Tochter sagte im Elterngespräch zu uns, dass bei der Zusammenarbeit das „Zusammen“ schon gut klappen würde, nur die „Arbeit“ müsse noch etwas intensiver werden. Das fand ich in seiner Einfachheit so einleuchtend und ich glaube, da gibt es tatsächlich einen Generationenunterschied: Themen wie Atmosphäre und Zusammenarbeit sind der Gen Z sehr wichtig, während unsere Generation sehr auf die Arbeit gepolt ist.

Außerdem ist die Arbeit viel kleinteiliger geworden. Dadurch werden auch kleine Unterschiede sehr viel wichtiger – zum Beispiel ist der falsche Filter auf einer Instagram-Story für die Gen Z plötzlich total entscheidend. Da kommt eine Sensibilität ins Spiel, die der Gen X manchmal fehlt.

"Die Sinnsuche auf Seniorseite hat vielleicht eine andere Tonalität, ist aber nicht minder interessant."

Patrik Sünwoldt

Den Diskurs über die Sinnsuche bekommen Alt und Jung mit. Begeben sich Senior-Kreative nachgelagert auch noch auf die gleiche Sinnsuche?

Sünwoldt: Ja, auf jeden Fall. Durch die sich verändernden Anforderungen und Skills sind wir alle gezwungen, in die Reflexion zu gehen: Was mache ich da eigentlich? Hat das Zukunft? Was kann ich sonst noch gut?

Ein einfaches Beispiel ist der Beruf der Übersetzer*innen, der durch KI-Tools nahezu irrelevant wird. Und in vielen anderen Bereichen wird es ähnlich sein. Deshalb muss man die Perspektive wechseln und sich fragen: Wie könnte ich anders an die Sache herangehen? Bin ich weiterhin im Dunstkreis meiner eigentlichen Expertise unterwegs, aber tue vielleicht nicht mehr genau dasselbe. Die Sinnsuche auf Seniorseite hat vielleicht eine andere Tonalität, ist aber nicht minder interessant.

Bartels: Die Senior-Kreativen hinterfragen sich auch, weil sie feststellen, dass der gelernte Hierarchieunterschied bei manchen Themen gar nicht mehr da ist. Sie merken, dass die Anleitung im Fachlichen nicht mehr unbedingt bei ihnen liegt.

Sünwoldt: Und das irritiert, weil die meisten anders sozialisiert sind. Senior Kreative kennen es noch so: In klassischen Kreativagenturen wurde man früher Creative Director (CD), wenn man der oder die beste Texterin oder der beste Texter war. Da hieß es: Performance over Trust. Es war Zufall, wenn jemand auch eine gute Führungsperson war. Deshalb gibt es so viele dieser schlimmen Geschichten von früher, über Top Kreative, die menschlich ungeeignet waren, weil es keinen Unterschied zwischen Fachkarriere und Führungskarriere gab. Es gab einfach nur Karriere.

Bartels: Es gibt ja nicht umsonst diesen Ausdruck der „Digital Natives“ oder „Social Natives“. Hier kommt wieder meine Tochter ins Spiel, die mit elf Jahren viel bessere Videos macht als ich. Das bedeutet aber nicht, dass ich einem jüngeren Kreativen gar nichts mehr beibringen könnte.

An welche Bereiche und Kompetenzen denkst du da?

Bartels: Hier muss ich aufpassen, dass ich nicht in die Klischeefalle tappe. Aber nehmen wir zum Beispiel das Thema Verbindlichkeit. Damit tun sich „Social Natives“ mitunter schwer, vielleicht auch wegen ihrer medialen und technischen Sozialisierung durch WhatsApp und Co. Das soll nicht heißen, dass die Generation grundsätzlich unverbindlich ist. Aber die heutige Flexibilität führt öfter zu kurzfristigen Absagen. Meiner Erfahrung nach hat sich die Haltung auf Seiten der Kund*innen nicht verändert. Die sagen nicht: Wenn ihr die Deadline nicht halten könnt, ist das auch egal.

Sünwoldt: Es geht auch um grundsätzliche Lebenserfahrung. Man kann im Alter dem Gegenüber zum Beispiel besser die eigenen Kompetenzen spiegeln, weil man verstanden hat, was eigentlich wirklich gut ist.

"Ohne Atmosphäre entsteht keine Offenheit."

Ingmar Bartels

Und wie schaffen wir ein Mindset und eine Offenheit dafür, dass die unterschiedlichen Generationen auch voneinander lernen wollen?

Bartels: Die Offenheit besteht grundsätzlich in der Atmosphäre. Oder sagen wir mal umgekehrt: Ohne Atmosphäre entsteht keine Offenheit. Und dafür ist Augenhöhe so wichtig. Darum haben wir auf dem German Creative Economy Summit die Initiative „Institut für Augenhöhe“ als Impuls vorgestellt.

Habt ihr ein konkretes Beispiel für die Anforderungen einer Generation und mögliche Fallstricke?

Bartels: Ich habe mal Remote-Team aufgebaut, da haben wir mit Slack gearbeitet. Dort passierte im Arbeitsalltag ähnliches wie bei der privaten Nutzung von Facebook und Instagram: Wenn auf Slack-Postings nicht reagiert wurde, hat das tatsächlich bei den jüngeren Teammitgliedern eine Gedankenspirale ausgelöst. Habe ich das falsch formuliert? War ich zu bossy? Mich macht in so einem Fall die fehlende Antwort eher wütend, was genauso falsch ist. Dieselbe Situation löst unterschiedliche Probleme aus.

Der Austausch zwischen den Generationen sollte früh beginnen. Welche Rolle spielt denn der Einstellungsprozess in diesem Kontext?

Bartels: Erstmal ist ja ganz klassisch noch folgende Situation vorherrschend – im Hiringprozess wird alles in den schönsten Farben dargestellt. Alle zeigen sich von ihrer besten Seite. Spätestens nach dem Onboarding kommt dann die Ernüchterung: Das mit den flachen Hierarchien, dem Homeoffice und dem „alle haben sich lieb“ ist gar nicht so. Deswegen hat Patrik in seiner Firma das Mini-Mentoring eingeführt. Mit diesem fachlichen Austausch schon in der Hiringphase kann man den besseren Fit herstellen.

Sünwoldt: Genau. Unsere Interviews für ausgeschriebene Jobs unserer Kund*innen sind quasi Mini-Mentorings, falls gewünscht. Grundsätzlich gibt es kaum sinnvolles Beratungsangebot in unserem Bereich, vor allem je länger man dabei ist. Es gibt meistens nur zwei Möglichkeiten: entweder im privaten Umfeld, dann fehlt oft die Expertise. Oder im beruflichen Kontext, wo entweder die Hierarchie zwischen einem steht oder einfach niemand Zeit dafür hat. Deswegen stellen wir unser Team breit auf und sagen: Art-Direktor interviewt Art-Direktorin, Marketing-Managerin spricht mit Marketing-Manager.

Die Frage zielte auch darauf ab, wie man von Anfang an sensibel umgehen kann mit verschiedenen Generationen und ihren Wünschen und Anforderungen.

Sünwoldt: Wie wir groß geworden sind, war das Gegenteil von sensibel. Deswegen finde ich es so faszinierend, wie junge Menschen sich heute verhalten und sagen: Nö, mache ich nicht. Und ein System dadurch zerbricht. Wir haben nicht einmal darüber nachgedacht, uns zu verweigern. Ich glaube, aktuell ist es vielleicht ein bisschen viel, weil die Welt eben leider kein Safe Space ist. Viele verlieren dadurch ein Stück weit ihre Resilienz und die Möglichkeit zur eigenen Entwicklung, weil Reaktionen von außen fehlen. Ein gewisser Druck ist schon wichtig, es heißt ja nicht umsonst „Fordern und Fördern“. Ich bin mir sicher: Irgendwann wird sich das in eine gesunde Mitte einpendeln, die für alle funktioniert.

Ingmar Bartels auf dem German Creative Economy Summit im März 2025. Foto: Jan-Marius Komorek
Ingmar Bartels auf dem German Creative Economy Summit im März 2025. Foto: Jan-Marius Komorek

Aber wie können gerade in einer sowieso schon überarbeiteten Branche überhaupt Ressourcen für solche Prozesse freigemacht werden? Wo schon das Tageswerk kaum bewerkstelligt werden kann. Ist die Antwort, dass das jemand von außen machen muss?

Ingmar: Das wäre eine Möglichkeit. Ich glaube, diese Überarbeitung ist eine Form des Missmanagements. Man muss sich wirklich bewusst machen, dass es Zeit und Energie kostet, eine Organisation zusammenzuhalten. Wenn alle remote arbeiten dürfen, können, sollen oder wollen, ist das kein Selbstläufer. Mein Sinnbild ist immer folgendes: Im Theater gibt es den Inspizienten. Der steht hinter der Bühne und weiß genau, wann welche Schauspielerin und wann welcher Chorsänger auf die Bühne muss. Der hat die ganze Produktion im Blick – und den gibt es zum Beispiel in der Agentur nicht.

Ich sitze hier ja nicht mit zwei alten Männern, die mit dem Rollator reingekommen sind und trotzdem höre ich heraus, dass ihr euch selbst eher als alt betrachtet. Hat die Kreativbranche ein Ageism-Problem?

Sünwoldt: Ja, hundertprozentig. Also erstmal gibt es ja rein faktisch in Agenturen ab einem bestimmten Alter eigentlich keine Position mehr. Wenn du dann keinen leitenden Posten hast, wird es verdammt eng. Das ist ein Problem des deutschsprachigen Raums. Das ist im englischsprachigen Raum komplett anders, da kannst du als Art-Direktor*in oder Texter*in alt und glücklich werden.

Woran liegt das?

Sünwoldt: Tätigkeiten wie Design oder Copywriting erfahren dort eine andere Wertschätzung. Das hat eine ganz andere Kultur dort, wie zum Beispiel in der Serie „Mad Men“. Dort wurden Wirtschaft und Kommunikation viel früher viel enger verwoben. Im deutschsprachigen Raum hat es eher mit Status zu tun. Das ist hier natürlich ein Problem, weil nicht alle Kreativdirektor*in werden können … oder wollen. So verlieren wir ab einem gewissen Punkt irrsinnig viel Talent und Arbeitskraft.

"Die Kreativbranche ist viel resilienter, als sie glaubt."

Ingmar Bartels

Welche Rolle nehmen Kreative in dem Diskurs über Generationsunterschiede im Arbeitsleben übergeordnet ein? Und was können andere Branchen von der Kreativbranche lernen?

Bartels: Hadern und Hinterfragen der eigenen Arbeit ist Teil jedes kreativen Prozesses. Kreative lernen dadurch, mit Frustrationen umzugehen, ohne aufzugeben, sondern weiter nach Lösungen zu fahnden. Die Kreativbranche ist viel resilienter, als sie glaubt.

Sünwoldt: Du kannst nur kreativ sein, wenn du offen und spürig bist. Und damit geht eine Unsicherheit einher. Du musst ja immer wieder neu und anders denken und oft alles über den Haufen werfen – kill your darlings. Dadurch haben viele Kreative auch kein ausgeprägtes Selbstbewusstsein. Deswegen mögen wir beide auch das Zitat so gerne: „Obvious to you is amazing to others“. Kreative denken manchmal: „Das kann doch jeder oder jede.“ Nein, das können eben nicht alle. Das ist eine unglaubliche Superpower.

Zu den Personen

Nach 15 Jahren in Agenturen und dem Wechsel ins Recruiting gründete Patrik Sünwoldt 2021 good.at – eine flexible Lösung für passgenaues Jobmatching in der Kreativbranche. Ergänzt wird das Angebot durch eine kuratierte Freelance-Plattform.

Was Senior-Kreative von der Gen Z lernen können – und andersherum -

Patrik Sünwoldt

CEO und Gründer der Recruiting- und Freelance-Plattform „Good At“

Ingmar Bartels ist Gründer der Markenberatung „Let me think about it“ mit Fokus auf kreatives Marketing. Nach Stationen bei Nordpol+, Jellyfish und als Head of Brand & Marketing kennt er Agentur- und Unternehmensseite. Er ist Medienwissenschaftler, Vater von vier Kindern und Mentor.

Was Senior-Kreative von der Gen Z lernen können – und andersherum -

Ingmar Bartels

Gründer „Let me think about it“

Das „Institut für Augenhöhe“ ist eine Initiative der Beiden, die das gegenseitige Verständnis von Generationen, Disziplinen, Hierarchien und Branchen fördern will. Im Zentrum steht dabei der Austausch auf Augenhöhe.

Institut für Augenhöhe

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