Den Diskurs über die Sinnsuche bekommen Alt und Jung mit. Begeben sich Senior-Kreative nachgelagert auch noch auf die gleiche Sinnsuche?
Sünwoldt: Ja, auf jeden Fall. Durch die sich verändernden Anforderungen und Skills sind wir alle gezwungen, in die Reflexion zu gehen: Was mache ich da eigentlich? Hat das Zukunft? Was kann ich sonst noch gut?
Ein einfaches Beispiel ist der Beruf der Übersetzer*innen, der durch KI-Tools nahezu irrelevant wird. Und in vielen anderen Bereichen wird es ähnlich sein. Deshalb muss man die Perspektive wechseln und sich fragen: Wie könnte ich anders an die Sache herangehen? Bin ich weiterhin im Dunstkreis meiner eigentlichen Expertise unterwegs, aber tue vielleicht nicht mehr genau dasselbe. Die Sinnsuche auf Seniorseite hat vielleicht eine andere Tonalität, ist aber nicht minder interessant.
Bartels: Die Senior-Kreativen hinterfragen sich auch, weil sie feststellen, dass der gelernte Hierarchieunterschied bei manchen Themen gar nicht mehr da ist. Sie merken, dass die Anleitung im Fachlichen nicht mehr unbedingt bei ihnen liegt.
Sünwoldt: Und das irritiert, weil die meisten anders sozialisiert sind. Senior Kreative kennen es noch so: In klassischen Kreativagenturen wurde man früher Creative Director (CD), wenn man der oder die beste Texterin oder der beste Texter war. Da hieß es: Performance over Trust. Es war Zufall, wenn jemand auch eine gute Führungsperson war. Deshalb gibt es so viele dieser schlimmen Geschichten von früher, über Top Kreative, die menschlich ungeeignet waren, weil es keinen Unterschied zwischen Fachkarriere und Führungskarriere gab. Es gab einfach nur Karriere.
Bartels: Es gibt ja nicht umsonst diesen Ausdruck der „Digital Natives“ oder „Social Natives“. Hier kommt wieder meine Tochter ins Spiel, die mit elf Jahren viel bessere Videos macht als ich. Das bedeutet aber nicht, dass ich einem jüngeren Kreativen gar nichts mehr beibringen könnte.
An welche Bereiche und Kompetenzen denkst du da?
Bartels: Hier muss ich aufpassen, dass ich nicht in die Klischeefalle tappe. Aber nehmen wir zum Beispiel das Thema Verbindlichkeit. Damit tun sich „Social Natives“ mitunter schwer, vielleicht auch wegen ihrer medialen und technischen Sozialisierung durch WhatsApp und Co. Das soll nicht heißen, dass die Generation grundsätzlich unverbindlich ist. Aber die heutige Flexibilität führt öfter zu kurzfristigen Absagen. Meiner Erfahrung nach hat sich die Haltung auf Seiten der Kund*innen nicht verändert. Die sagen nicht: Wenn ihr die Deadline nicht halten könnt, ist das auch egal.
Sünwoldt: Es geht auch um grundsätzliche Lebenserfahrung. Man kann im Alter dem Gegenüber zum Beispiel besser die eigenen Kompetenzen spiegeln, weil man verstanden hat, was eigentlich wirklich gut ist.