Initiativen derHamburg Kreativ Gesellschaft

Presse in Hamburg: Digitalisierung einer Traditionsbranche

Die Hamburger Verlage verdienen ihr Geld mehr und mehr im Netz – und mit dem direkten Dialog mit ihren Leser*innen. Über neue Erlösquellen zwischen Management-Seminar und hyperlokalem Journalismus: Ein Branchenüberblick

Presse in Hamburg: Digitalisierung einer Traditionsbranche -

Hamburg – Verlagshochburg, zentraler Pfeiler der deutschen Medienlandschaft. So oder ähnlich lautet die klassische Erzählung über die Rolle der Hansestadt in der Pressebranche. Titel wie Spiegel, Stern und Zeit haben Mediengeschichte geschrieben; Verlage wie Gruner & Jahr – heute Teil von RTL –, der Jahreszeiten Verlag und die Bauer Gruppe prägten den Zeitschriftenmarkt mit Titeln wie Geo, Merian und der Bravo.

Aber wie passt dieses Bild noch in eine Zeit, in der Influencer via TikTok in direktem Kontakt mit ihrem Publikum stehen, sich der Medienkonsum wandelt und der Werbekuchen neu verteilt wird? Der Umsatz der sogenannten Creator Economy soll sich nach Einschätzung der Investmentbanker von Goldman Sachs bis 2027 weltweit auf 480 Milliarden US-Dollar nahezu verdoppeln.

„Schockstarre der Digitalisierung hat sich gelöst“

Wir fragen Holger Volland. Er ist CEO der Brand Eins Medien AG, die das gleichnamige Wirtschaftsmagazin herausgibt. Er fasst die Lage so zusammen: Vielfältige, teils volatile Erlössituation bei kleinen wie großen Medienhäusern. Einige, auch etablierte Häuser bräuchten dringend neue Erlösmodelle. Andere laufen blendend. Da gebe es alle Varianten.

Positiv aus seiner Sicht: „Die Schockstarre der Digitalisierung hat sich gelöst“, sagt Holger Volland. Anders als vor 10 Jahren sei jetzt klar, dass die Leser*innen bereit seien, für digitale Inhalte zu zahlen. „Und die meisten Häuser wissen auch, in welche neuen Bereiche sie neben dem traditionellen Geschäft investieren können.“

11.309

Menschen arbeiten in Hamburgs Pressebranche*

um 15,6 %

ist die Zahl der Erwerbstätigen in Hamburg zwischen 2016-2021 gesunken*

3.516

Hamburger Unternehmen teilen den Markt unter sich auf*

um 13,8 %

ist die Zahl der Hamburger Unternehmen zwischen 2016-2021 gesunken*

2,4 Mrd.

Euro Jahresumsatz erwirtschaftet Hamburgs Pressebranche*

57,04  %

ist der Frauenanteil bei den Gesamtbeschäftigten in Hamburg*

Unternehmen umfassen Unternehmen mit mehr als 22.000 Euro Jahresumsatz sowie Kleinunternehmen. Erwerbstätige sind sowohl SV-pflichtige als auch geringfügig Beschäftigte Personen, sowie Selbstständige.

*Goldmedia Standortmonitor, nach der Methodik des BMWK Kultur- und Kreativwirtschaft (Stand: 2021)

Vertraute Marke, neue Geschäftsfelder

Christoph Zimmer, Leiter der Produktentwicklung der Spiegel-Gruppe, bestätigt das, zumindest für seinen Verlag. Das digitale Abo-Modell sei 30 Jahre nach dem Start von Spiegel Online „zur zentralen Säule“ geworden, sagt er. Vor sechs Jahren folgte die Paywall, erst beim Spiegel, später bei den Schwesterblättern Manager Magazin, Harvard Business Manager und 11 Freunde. 2023 überstiegen die Digitalabo-Erlöse erstmals die aus dem Print. Bis 2025 sollen sie um ein weiteres Drittel auf 75 Millionen Euro steigen, sagt Christoph Zimmer.

Auch bei der Zeit wächst das Digitalgeschäft. Aber auch hier spüren sie, dass Influencer und Creator ihre Inhalte direkt und unabhängig von den Verlagen vermarkten. „Viele junge Leute informieren sich inzwischen vor allem über TikTok, weniger über klassische Medien“, sagt Zeit Verlagsgruppe-Geschäftsführer Christian Röpke, der als Chief Product Officer für die Digitalisierung aller Geschäftsmodelle verantwortlich ist. Früher sei Social Media oft ein Sprungbrett zu den Nachrichtenseiten gewesen.

"Facebook und andere Social Networks haben schon länger aufgehört, Traffic zu uns rüberzugeben"

Christian Röpke, ZEIT Verlagsgruppe

„Aber Facebook und andere Social Networks haben schon länger aufgehört, Traffic zu uns rüberzugeben“, sagt Christian Röpke. Die wachsende Popularität von ChatGPT und anderer KI-Tools werfe zudem die Frage auf, wie sich der Traffic von Google und anderen Suchmaschinen weiterentwickle. „Geben sich die Suchenden irgendwann mit den Antworten der KI zufrieden?“ Bisher liefere Google mit bis zu 30 Prozent aber noch einen hohen Anteil des Traffics bei der Zeit.

Renaissance der Qualitätsmedien?

Andererseits suchen viele Menschen wegen der Flut an teils künstlich erzeugten Inhalten zunehmend nach Orientierung, Echtheit und Relevanz. Da sind sich die Verlagsmanager einig. Auch die Pandemie und andere Krisen geben den Qualitätsmedien Zulauf. Auch deswegen konnte die Zeit Christian Röpke zufolge zwischen 2020 und 2023 etwa 120.000 neue Digital- Abonnent*innen dazugewinnen. Das sei die andere Seite der Medaille von entsprechenden Nachrichtenlagen, so der Manager. „Da das Digital-Abo preislich fast gleichauf mit dem Print-Abo liegt, konnten wir bei stabiler Printauflage die Erlöse enorm steigern und sind nach wie vor sehr profitabel“, sagt Christian Röpke.

Um Leser*innen stärker zu binden, geht die Zeit teils unkonventionelle Wege und erlaubt etwa das Teilen von Abos. „Die meisten Streamingdienste tun gerade das Gegenteil“, sagt Christian Röpke. Aus seiner Sicht kann das Teilen aber die Abo-Haltbarkeit steigern. „Schließlich würde man nicht nur für sich kündigen.“

„Klassisches Innovationsdilemma“

Dass unterm Strich auch Geld verdient wird, ist keine Selbstverständlichkeit in der Branche, weiß Holger Volland. „Viele Verlage stecken im klassischen Innovationsdilemma“, sagt er. „Der Umsatz bei den traditionellen Produkten ist unter Druck, zugleich braucht es Zeit, um in neue Produkte zu investieren und sie effizienter zu machen." Bei Brand Eins macht das gedruckte Monatsmagazin ihm zufolge mittlerweile noch etwa die Hälfte der gesamten Abo-, Verkaufs- und Werbeumsätze aus. Neue Produkte und Erlösmodelle kämen stetig hinzu, so der CEO.

„Der Umsatz bei den traditionellen Produkten ist unter Druck, zugleich braucht es Zeit, um in neue Produkte zu investieren und sie effizienter zu machen.“

Holger Volland, brand eins

Brand Eins, die Zeit und andere Verlage setzen daher auf neue Geschäftsfelder wie Veranstaltungen und Weiterbildungsformate. Bei der Zeit sind es laut Christian Röpke mehr als 150 Veranstaltungen pro Jahr, von Leser- bis zu B2B-Events. Brand eins treibt auch den Verkauf von community-basierten Inhalten zu wirtschaftlichen Themen wie Führung und Geld voran, einschließlich Newslettern und Heftpaketen. Ebenso das Corporate Media-Geschäft, bei dem der Verlag Magazine und Podcasts für Unternehmen produziert.

„Buschfunk für die Dorfkultur“

Und die Lokalpresse? Die Auflage von Platzhirsch „Hamburger Abendblatt“ ist laut Statista seit 2016 um ein Drittel auf zuletzt rund 116.000 Exemplare geschrumpft. Die E-Paper-Auflage hat sich demnach seitdem auf rund 30.600 Exemplare mehr als verdoppelt. Der Ex-Springer-Titel, der seit 10 Jahren zur Essener Funke Mediengruppe zählt, bleibt damit Hamburgs meistverkaufte Tageszeitung.

Das Boulevardblatt „Hamburger Morgenpost“, kurz Mopo, erscheint wegen „zu hoher Druck- und Vertriebskosten“ seit 2024 nur noch freitags auf Papier statt an sechs Tagen und ist dafür dicker und teurer. Da sich auf Mopo.de im Schnitt 450.000 NutzerInnen pro Tag tummeln, sollen die Online-Berichterstattung ausgebaut und die digitalen Werbeeinnahmen gesteigert werden, erklärte der Verleger Arist von Harpe unlängst in der Süddeutschen Zeitung. Ob die Rechnung aufgeht, wird die Zukunft zeigen.

Daneben sprechen Nischenanbieter wie die „Eimsbütteler Nachrichten“ ihr Zielgruppen mit hyperlokalen Inhalten an, die sonst keiner abdeckt. Die „Eimsbütteler“ wollen laut Website „keine PR-Plattform, kein Boulevard und kein Käseblatt“ sein, sondern „fundierte Nachrichten“ für einen Stadtteil bieten. Das Modell scheint aufzugehen. Der „Buschfunk für die Eimsbütteler Dorfkultur“ erscheint seit 2016 im Netz und mehrmals im Jahr in gedruckter Form.

Vom Geo-Reporter zum KI-Trainer

Und wie geht’s den Freelancer*innen? Für ein Stimmungsbild besuchen wir ein Treffen von Freischreiber, einem Verband für freie Journalist*innen. Thema des Abends: „Schreiben mit KI.“ Es ist ein munteres Gespräch. Skepsis, Kritik und Aufbruchstimmung vermischen sich. Die eine Kollegin transkribiert Interviews noch Minute für Minute selbst, die andere ist froh, dass ihr die KI in Sekunden eine Textfassung des eigenen Podcasts ausspuckt und die Keywords für die SEO-Optimierung gleich mit.

Ein früherer Geo-Saison-Reporter füttert ChatGPT mit szenischen Text-Einstiegen, damit die KI irgendwann schreibt wie er und gibt im Monat bis zu 350 Euro für KI-Tools aus. Das rentiere sich nur, sagt er, da er für „gutes Geld“ Kommunikationsabteilungen von Firmen in der KI-Nutzung schule.

„Es ist wie Legospielen: Der Text ist nur die Basis, an die man verschiedene Steine andocken kann, hier noch ein Workshop, da noch ein Podcast.“

Regine Marxen, freie Journalistin

„In Zeiten niedriger Honorare müssen wir Freelancer*innen viele kleine Süppchen kochen“, sagt Regine Marxen. Die freie Journalistin hat ihre Schwerpunkte in den Bereichen Healthcare, Hamburg und Food & Beverage, produziert als ausgebildete Bier-Sommelière einen Craftbeer-Podcasts und berät bei Audioprojekten. „Es ist wie Legospielen: Der Text ist nur die Basis, an die man verschiedene Steine andocken kann, hier noch ein Workshop, da noch ein Podcast.“

Interdisziplinäres Arbeiten

Holger Volland, der für den CEO-Job bei Brand Eins aus Frankfurt nach Hamburg wechselte, beeindruckt diese Offenheit der Hamburger Presselandschaft. „Hier mauert niemand, sondern ich sehe eine große Bereitschaft, sich mit kleineren und branchenfremden Tech-Firmen zu vernetzen.“

Den Austausch fördern verschiedene Initiativen, wie das Media Innovation Program (MIP) der Hamburg Media School oder die städtische Initiative nextMedia.Hamburg. Letztere ist ein Teil der Hamburg Kreativ Gesellschaft und die erste Anlaufstelle für die Hamburger Medien- und Digitalbranche. nextMedia fördert mit verschiedenen (Innovations-)Programmen, Veranstaltungen und Inhalten zukunftsfähige Geschäftsmodelle an der Schnittstelle von Content und Technologie. Seit 2023 betreibt nextMedia den SPACE in der Hamburger Speicherstadt, einen Innovationsraum, in dem Unternehmen, Startups, Medienschaffende und Kreative zusammenkommen, Wissen austauschen und gemeinsam an innovativen Lösungen feilen. Im September hat die Initiative zusammen mit einem Board aus führenden Medienunternehmen zum 16. Mal das scoopcamp veranstaltet, die Hamburger Fachkonferenz für Publisher. Im Fokus: die Frage nach der Finanzierung des Journalismus.

Ein interdisziplinärer Austausch ist auch nötig, denn der Wandel schreitet voran: „Wir sind gut unterwegs“, sagt Christian Röpke mit Blick auf die Zeit. „Trotzdem müssen wir Strategien entwickeln, wie wir die jungen Leute dort zu Fans machen, wo sie sich am liebsten aufhalten wie etwa auf den Vertikal-Videoportalen, die immer mehr zu geschlossenen Systemen werden.“ Die Qualitätsmedien müssten so relevant und interessant sein, sagt Christian Röpke, dass die Leser*innen sie direkt ansteuern oder neu entdecken. „Das klingt banal, ist aber eine große Aufgabe.“

Was bewegt die Pressebranche?

Hier sprechen die Expert*innen

„Qualitätsmedien wie DIE ZEIT bieten den Menschen mit ihrem wachen und ausgeruhten Blick in diesen Zeiten eine wichtige Orientierung und das ist auch das Rezept, mit dem wir das Thema KI angehen: Wir setzen darauf, dass wir mit unserem Journalismus auch in Zeiten KI-generierter Inhalte so einzigartig und überraschend sind, dass wir damit weiterhin eine unverzichtbare Begleiterin für Orientierung und Einordnung bleiben.”

Presse in Hamburg: Digitalisierung einer Traditionsbranche -

Christian Röpke (Foto: Caren Detje)

Geschäftsführer bei der ZEIT Verlagsgruppe

„Gerade für Independents wie brand eins ist das Thema Kooperation unerlässlich, da wir nicht immer alle nötigen Skills und Ressourcen im Haus haben, um innovative Angebote zu entwickeln. Die Partner bringen dann ihre Kompetenz mit und wir können uns auf den Inhalt und die Kommunikation mit der Zielgruppe fokussieren.“

Presse in Hamburg: Digitalisierung einer Traditionsbranche -

Holger Volland (Foto: Stefan Ostermeier)

CEO bei brand eins

„Ich kenne wenige freie Journalist*innen, die rein journalistisch arbeiten, weil es zu schwer ist, allein davon zu leben. Einige verlagern ihren Schwerpunkt aus Gründen wirtschaftlicher Sicherheit beispielsweise in den Schulungsbereich.“

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Regine Marxen (Foto: Andrea Lang)

freie Journalistin/Podcasterin

„Kolleginnen und Kollegen aus Produkt, Technologie und Redaktion sprechen oft eine ganz unterschiedliche Sprache und arbeiten zeitlich mit anderer Taktung. Deshalb braucht es eine gemeinsame Vision, vor allem aber viel Kommunikation und dazwischen mal einen Kaffee, um Missverständnisse zu vermeiden.“

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Christoph Zimmer (Foto: Anna Dittrich / DER SPIEGEL)

Leiter Produkt bei DER SPIEGEL

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