Trotz der vergleichsweise soliden Lage im Klassik-Bereich, weist Burkhard Glashoff auch auf „jede Menge Challenges“ hin, denen sich auch Hamburgs Musikszene nicht entziehen kann wie etwa die Kriege in Nahost und in der Ukraine und „der desaströse Zustand" der Verkehrsinfrastruktur: "Die Künstler*innen reisen oft einfach nicht rechtzeitig an“, sagt er.
Transparenz im Umgang mit Künstlicher Intelligenz (KI)
Branchenweit ungelöst ist die Frage, wie Urheber*innen bezahlt werden, deren Songs in KI-Systeme eingespeist werden. „Pop ist so ein datenleichtes, simples Produkt: Dominante, Subdominante, Tonika und ein bisschen Stimme drauf“, sagt Alexander Schulz. „Das macht die Musik weltweit verständlich, aber auch sehr angreifbar.“
Marec Lerche sieht auch die Label in der Verantwortung, die Rechte und Interessen der Künstler*innen zu schützen. „Wir als Label sehen unsere Pflicht darin zu gewährleisten, dass sie davon profitieren und absolute Transparenz erhalten, wie und wo KI eingesetzt wird“, sagt er.
Wo die Chancen von KI liegen, weiß Agnes Chung. Sie bewegt sich an der Schnittstelle von Musik und Technologie und steht mit ihrem Start-up musicube exemplarisch dafür, wie Gründung in Hamburg funktionieren kann. So hat sie etwa den Inkubator Media Lift von nextMedia.Hamburg durchlaufen, der Teil der Hamburg Kreativ Gesellschaft ist.
Wege aus der Playlist-Blase
Dabei haben Agnes Chung und ihr Co-Gründer David Hoga eine KI-gestützte Software entwickelt und trainiert, die Songs automatisch nach Merkmalen ordnet und mit Metadaten anreichert. „So können wir die Filterblase zum Platzen bringen, durch die wir alle mit unseren Playlisten steuern“, sagt sie. Da dies auch für Label, Verlage und Rechte-Inhaber*innen spannend ist, arbeitet Agnes Chung heute für die US-Lizenzierungsplattform Songtradr. Diese hat musicube 2022 übernommen.
Hamburg ist Agnes Chung treu geblieben. Im Vorstand von Hamburg Music will sie sich verstärkt für den Wissensaustausch zu neuen Technologien einsetzen. Gemeinsam mit dem Zusammenschluss verfolgt sie die Vision eines „House of Music" als interdisziplinären Ort der Begegnung, Kreativität und Innovation in der Hansestadt. Als Inspiration nennt sie Initiativen wie das Ligeti Zentrum, an dem die Hochschulen für Musik und Theater (HfMT) und Angewandte Wissenschaften (HAW) gemeinsam mit der Technischen Uni (TUHH) und das Uniklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) „eine Brücke zwischen Kunst, Wissenschaft und Innovation“ schlagen wollen, wie es auf der Website heißt.
Gewinnen Live-Erlebnisse an Wert?
Ob das Zusammenspiel von Kreativen und Technologie irgendwann dazu führt, dass die KI Hits schreibt, darüber kann Alexander Schulz nur spekulieren. Zuallererst sei es wichtig, dass diejenigen, die der KI „das Futter liefern“, auch angemessen bezahlt würden, sagt er. Die neuen Technologien können zugleich dabei helfen, die vielen unsichtbaren Künstler*innen im Streaming sichtbarer zu machen, wie das Beispiel musicube zeigt.
Zudem könnte der rapide technologische Wandel das Live-Konzert-Erlebnis künftig noch attraktiver machen. Das glaubt jedenfalls Burkhard Glashoff. „Das klingt vielleicht pathetisch,“ sagt er. „Aber ich glaube wirklich, dass – je artifizieller und digitaler unsere Lebenswelt wird – auch das Bedürfnis nach Nähe und Kontakt zunimmt.“