Initiativen derHamburg Kreativ Gesellschaft

„Kreativität entsteht da, wo Regeln gebrochen werden.“

Unternehmen sollten mehr Innovation wagen, um sich im digitalen Zeitalter langfristig am Markt zu behaupten, sagt Ulrich Erdmann. Warum das in gemischten Teams am besten gelingt, erklärt der KI-Experte aus dem Pool der Kreativen des Cross Innovation Hub im Interview.

„Kreativität entsteht da, wo Regeln gebrochen werden.“ - Ulrich Erdmann wird interviewt

Herr Erdmann, warum haben Sie das Automuseum PROTOTYP als Ort für dieses Gespräch gewählt?

Der Ort zeigt, dass Innovationen von mutigen Menschen gemacht werden, die sich trauen, neue Wege zu gehen. Und die dabei auch Widerstände überwinden. Prototypen sind dabei ein wesentlicher Schritt im kreativen Prozess. Sie ermöglichen es, Ideen zu konkretisieren, sichtbar zu machen, auszuprobieren und mit anderen abzustimmen. Durch diesen iterativen Prozess wird die Idee immer reifer und runder.

„Ein kreativer Prozess erfordert ständige 'Inkubation' – dann kommt irgendwann auch der berühmte 'Geistesblitz'.“

Wie kommt man auf Ideen, die es wert sind als Prototyp weiterentwickelt zu werden?

Gute Ideen entstehen erst nach intensiver Auseinandersetzung mit einer Aufgabe. Egal, ob allein oder im Team, es braucht Zeit und wiederholtes hin und her wälzen des Problems, um Lösungswege zu entdecken. Ein kreativer Prozess erfordert ständige „Inkubation“ – dann kommt irgendwann auch der berühmte „Geistesblitz“. Garantiert.

Kann der kreative Prozess beschleunigt werden?

Nun, kreative Dienstleister – wie z.B. Agenturen – arbeiten ja recht hochtourig. Zeit- und Qualitätsdruck bestimmen den Alltag, die Deadlines sind fix.

Im Team kommt man da besser und schneller voran als allein. Besonders, wenn es im Team keine Abgrenzungen gibt, alles erlaubt ist und offen kommuniziert wird. Eine Idee gehört dann allen, sobald sie auf dem Tisch liegt. Jede*r kann sie aufgreifen, verbessern und etwas Neues daraus schaffen. Das Wunderbare daran: Ich habe noch nie erlebt, dass dabei keine Idee zustande kam.

Was ist da der Unterschied zwischen Kreativen und Unternehmen?

Unternehmen sind grundsätzlich selbst kreativ, aber oft fokussiert auf spezifische Bereiche, ihr Produkt, ihre Technologie. Ein Beispiel: Unsere Autoindustrie baut bekanntlich ganz hervorragende Autos, wurde aber von der Disruption durch Elektromobilität bös überrascht, weil zu lange in gewohnten, erfolgsverwöhnten Bahnen gelebt wurde. Der Blick von außen kann helfen, neuen Fragen zu stellen und komplett andere Perspektiven zu betrachten.

„Kreativität entsteht erst durch das Brechen von Regeln - das fällt Außenstehenden leichter.“

Unternehmen sollten sich also rechtzeitig Input von Externen holen?

Ja, und das gilt für große und genauso für kleine Unternehmen und Start-ups. Zum Beispiel nach der Gründung, wenn das junge Unternehmen durch die ersten Höhen und Tiefen geht, kann der externe Blick helfen, die eigene Situation und die Herausforderungen klarer zu sehen und seinen Kompass wiederzufinden.

Warum sind neue Perspektiven so wichtig?

Auch wenn Unternehmen, Branchen, Berufsgruppen ja in ständigem Austausch miteinander stehen, Weiterbildung fördern, Kreativität intern trainieren, der Blick von außen bleibt wichtig, um auf etwas grundsätzlich Neues zu kommen. Kreativität entsteht erst durch das Brechen von Regeln, das fällt Außenstehenden leichter.

Rainer Pollmeier (links) und Ulrich Erdmann (rechts) als Gäste im Automuseum PROTOTYP, Shanghaiallee 7, 20457 Hamburg
Rainer Pollmeier (links) und Ulrich Erdmann (rechts) als Gäste im Automuseum PROTOTYP, Shanghaiallee 7, 20457 Hamburg
Unternehmen sollten mehr Innovation wagen, findet Ulrich Erdmann. Wie erklärt er im Interview.
Unternehmen sollten mehr Innovation wagen, findet Ulrich Erdmann. Wie erklärt er im Interview.

„Wer sich langfristig am Markt behaupten will, sollte den Innovationsprozess aktiv suchen.“

Also, mehr Innovation wagen?

Ja, wer sich langfristig am Markt behaupten will, sollte den Innovationsprozess aktiv suchen. Zuerst sollte das Unternehmen seine möglichen Schwachstellen kennen. Dabei können schon interne Kreativprozesse helfen. Eine externe Moderation oder externe Off-Site-Events mit einem Mix aus verschiedenen Abteilungen fördern den Perspektivwechsel. Das bringt meist schon viel. Zusätzlich holt man sich kreativen Input von außen und kombiniert Workshops mit externen Kreativen – wie es der Cross Innovation Hub mit ihrem Kreativpool ermöglicht.

Was ist das Besondere am Cross Innovation Hub der Hamburger Kreativ Gesellschaft?

Das Besondere am Cross Innovation Hub ist, dass hier Kreative aus verschiedenen Disziplinen und Branchen zusammenkommen. Diese Vielfalt fördert gegenseitige Inspiration und unterschiedliche Herangehensweisen an kreative Aufgaben. Der Hub bringt zudem seine Erfahrung in der Moderation solcher gemischten Gruppen ein und sorgt mit bewährten Methoden wie Design Thinking dafür, dass aus kreativen „Regelbrecher*innen“ schnell und effizient ein innovatives, kooperatives Team entsteht. Diese Mischung macht den Erfolg des Konzepts aus.

Welche Kreativtechniken werden im Cross Innovation Hub angewendet?

Design Thinking ist zum Beispiel eine bewährte Methode, um punktgenaue, kreative Lösungen zu erzielen. Auch Templates wie das „Product Field“ lassen sich gut einsetzen, um Produktideen zu entwickeln. Für die KI-Workshops setze ich ein spezielles Solution-Template ein. Das hilft dabei, wenn aus Ideen, was man mit KI alles machen könnte, realistische Projektskizzen werden sollen.

„Moderatoren begleiten die Workshops und schaffen mit den Internen und Externen ein echtes Team.“

Ohne Koordination und Struktur gibt es also keine Kreativität?

Ich schätze es sehr, dass bei Projekten des Cross Innovation Hub erfahrene Moderator*innen die Abläufe steuern. Als Kreativer muss ich mich darum nicht kümmern, sondern kann mich voll auf die Ideenfindung konzentrieren und dabei sogar neue Methoden lernen. Die Moderatorinnen und Moderatoren sorgen dafür, dass das gemischte Team aus Unternehmensmitarbeitenden und externen Kreativen gut zusammenarbeitet und die Fäden zusammenlaufen. Das ist sehr angenehm.

Welche Projekte werden angeboten und was sind die Ziele?

Die Bandbreite der Innovationsprojekte ist groß und variiert je nach Ziel des Unternehmens und gewähltem Format. Es gibt ein- und mehrtägige Formate. Am ersten Tag gibt es eine kurze Kennenlernphase, dann beginnen die moderierten Kreativprozesse.

Wichtig ist, zu Beginn klare Erwartungen zu definieren. Was ist die Herausforderung, was ist das Ziel, und was genau ist „Lieferobjekt“, soll also am Ende der Teamarbeit vorliegen?
Die Aufgaben sind ja verschieden. Manchmal hat das Unternehmen eine konkrete Idee, die mit externen Perspektiven weiterentwickelt werden soll und in einem Prototyp mündet. Und manchmal eine offene Fragestellung, die mit einem strategischen Dokument beantwortet werden kann.

Können Sie uns ein konkretes Beispiel nennen?

Ja. Ein Maschinenbau-Unternehmen stellt ein Gerät her, das in großer Zahl in industriellen Produktionsanlagen verbaut ist. Für die Wartung dieses Bauteils will der Servicetechniker aber wissen, wo genau die Geräte verbaut sind, wann die Inspektion fällig ist und wo die passende Dichtung bestellt werden kann.

Wir haben im gemischten Team mögliche User-Journey durchgespielt, Zukunftsszenarien entwickelt und daraus eine Lösung destilliert. Wir begannen also mit ersten Skizzen am Whiteboard und haben am Ende eine prototypische App als Funktionsmuster gebaut.

In einem anderen Projekt erarbeiteten wir gemeinsam Methoden, um ein Unternehmen bei der Entwicklung einer neuen Strategie zu unterstützen. Das Ergebnis war ein eine Art „Manual“ mit einem klaren Fahrplan und empfohlenen Lösungs-Methoden für die nächsten Schritte.

„Es entsteht eine gemeinsame Begeisterung im Team. Unternehmen gehen immer mit etwas Handfestem aus den Workshops.“

Wie lautet das Feedback von Unternehmen und Organisationen?

Soweit ich es beobachten konnte, ist das Feedback sehr gut. Es entsteht eine gemeinsame Begeisterung im Team und am Ende bleibt das gute Gefühl, dass die Zeit sinnvoll investiert war. Mich freut es besonders, wenn Unternehmen etwas Handfestes aus den Workshops mitnehmen können. Ich erinnere eine besonders bemerkenswerte, einzigartige Produktidee aus einem gemischten Team. Da konnte man am Ende sogar über eine Patentanmeldung nachdenken.

„Der Prozess ist für alle Beteiligten eine Bereicherung.“

Was nehmen Sie aus der Arbeit mit?

Dass ich nie aufhöre, dazuzulernen. Egal, mit welchem Unternehmen oder welcher Branche ich zu tun bekomme: Dümmer wird man nie. Sich diese Neugier erhalten, die Augen und Ohren offenhalten, immer nach vorne denken, dafür ist der Cross Innovation Hub ein ideales Biotop. Das lässt viele Ideen gedeihen, und dieser Prozess ist für alle Beteiligten eine Bereicherung.

Sie kommen aus der Werbebranche und sind heute unter anderem auf KI spezialisiert – welche Chancen bietet KI für Unternehmen?

Unternehmen nutzen inzwischen schon viele KI-Tools wie ChatGPT, um Texte zu erstellen oder Bildinhalte zu generieren. Diese Tools wurden sehr schnell angenommen und verbreiten sich rasant, weil sie einen unmittelbaren, praktischen Nutzen ohne allzu große Anlaufzeit bieten.

Darüber hinaus denken Unternehmen aber auch an spezifische, individuell konfigurierte KI-Lösungen für komplexe Aufgaben. Wie kann man sich einer solchen Aufgabe nähern? Man kennt das Problem, aber was genau soll die KI leisten? Und welche Daten könnten dabei helfen? Auch hier hilft ein kreativer Prozess, der das Wissen im Unternehmen mit externem Know-how verknüpft. Der Hub bietet dazu das Format „KI Sprint“ an. Hier kann das Ergebnis eine aussagekräftige Projektskizze sein – oder sogar schon ein erster, lauffähiger Prototyp. Auf dieser Grundlage kann dann von externen Dienstleistern die Machbarkeit geprüft und Aufwände kalkuliert werden.

„KI fehlt das 'Feenstaub'-Element der menschlichen Kreativität.“

Wie viel kreatives Potenzial steckt in der KI?

Wenn wir an Emotionen denken, an berührende Kunst, an geniale Erfindungen und ähnliche Artefakte, dann sehe ich da zurzeit noch Grenzen.

Eine KI kann sicher den Satz schreiben „In dem Baumschatten duftet es nach Lindenblüten“. Aber sie hat keine Ahnung, was der Satz bei uns auslöst, was wir fühlen. Sie kann unsere Assoziationen von lauschigen Sommerabenden und kühlem Weißbier nicht nachvollziehen. „Duft“ und „Blüte“, das sind für sie nur Zeichenfolgen, die – das hat sie gelernt – zusammen auftreten können.

Bei einer KI lässt sich der Schreibstil von Rilke bestellen. Aber inspirierten Eigenschöpfungen fehlt dann oft der “Feenstaub”, das gewisse Etwas, das dazu führt, dass Menschen vor einem Kunstwerk Schlange stehen oder sich von einem Musikstück zu Tränen rühren lassen.

Das berührt die ewige Frage: Was ist eigentlich Kreativität, was treibt uns an, etwas zu erschaffen, warum füllen wir leere Seiten?

Vor Jahren gab es dazu ein Kunstprojekt von Hermann Vaske. Er hat Kreative weltweit aus verschiedenen Branchen gefragt, warum sie kreativ sind, und bat um Antwort auf einem A3-Blatt. Gemalt, geschrieben, geklebt – alles war erlaubt. Die Vielfalt der Antworten, die Regelbrüche, die Chuzpe war faszinierend und zeigt, wie unterschiedlich menschliche Kreativität sein kann.

Zur Person

Ulrich Erdmann hat über 20 Jahre Erfahrung in der digitalen Konzeption. Er arbeitete erfolgreich als Konzeptioner in führenden Digital- und Werbeagenturen, bevor er vor sechs Jahren damit begann, sich zunehmend mit Künstlicher Intelligenz zu beschäftigen. Seine Schwerpunkte sind: Marketing, Kommunikationsstrategie, Produkt- & Servicedesign, Digitale Transformation, KI und User Experience.

„Kreativität entsteht da, wo Regeln gebrochen werden.“ - Ulrich Erdmann Portrait

Ulrich Erdmann

Independent.de

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