„Ich fand es spannend, lost zu sein“ – Cross Innovation mit DESY
Im Cross Innovation Lab mit der Wissenschaftsinstitution DESY und der HAW Hamburg machen sich Kreative und Forscher*innen gemeinsam auf den Weg. Das Ziel: eine Oase.
Im Cross Innovation Lab mit der Wissenschaftsinstitution DESY und der HAW Hamburg machen sich Kreative und Forscher*innen gemeinsam auf den Weg. Das Ziel: eine Oase.
Das Deutsche Elektronen-Synchrotron (kurz: DESY) und das Design Zentrum Hamburg sind zehn Kilometer voneinander entfernt – und doch trennen die Menschen, die hier wirken, Welten. Die Mitarbeiter*innen des DESY betreiben Grundlagenforschung: Sie arbeiten mit Lasern, Beschleunigern und Photonen. Ihre Arbeit ist evidenzbasiert, die Ergebnisse falsifizierbar. Im Design Zentrum Hamburg, das hier stellvertretend für so viele kreative Orte in der Stadt steht, wird ergebnisoffen, innovativ und kreativ gearbeitet.
Können diese beiden Herangehensweisen voneinander profitieren? Das wird im Cross Innovation Lab (CIL) des Cross Innovation Hub auf die Probe gestellt. Über mehrere Wochen tüfteln vier Expert*innen aus dem Pool der Kreativen mit Forschenden des DESY an einer gemeinsamen Idee: einer Oase, die Forschung, Bildung und das Verweilen im öffentlichen Raum verbinden soll.
An einem Montagmorgen im September spürt man eine entspannte Vertrautheit zwischen den Teilnehmenden, die sich bei Filterkaffee und Streuselkuchen über das Oeuvre von Linkin Park unterhalten. Man merkt: Die Forscher*innen des DESY und die Expert*innen aus dem Pool der Kreativen konnten sich in den vier Projekteinheiten, die bereits hinter ihnen liegen, kennenlernen. Dabei darf sich mal die eine, mal die andere Gruppe zuhause fühlen. In dem maßgeschneiderten Programm führen die DESY-Mitarbeitenden über ihr beeindruckendes Gelände. Weitere Sessions, wie der Concept-Proof-Workshop heute, finden am langen Tisch des Design Zentrums statt – und an Magnetwänden, am Kaffeetresen, auf den Bänken am Fenster. Doch so friedlich war es nicht von Anfang an, erzählt Michael Schieben, Co-Facilitator des Projektes. Doch dazu später mehr.
Zunächst muss man verstehen, was das Ziel des Pilotprojektes ist. Eine der Initiator*innen seitens DESY ist Zahra Saleh, die in der Abteilung Innovation & Technologietransfer arbeitet. Die Aufgabe der Innovationsmanagerin ist es, die Grundlagenforschung des DESY mithilfe transdisziplinärer Zusammenarbeit in eher unübliche Anwendungsbereiche zu überführen – wie etwa Mode oder Nachhaltigkeit. „Wir möchten unser Spektrum erweitern und versteckte Potentiale in unserer Forschung entdecken“, sagt Saleh. Sie treibt die Hoffnung an, dass sich im DESY wichtige Antworten auf Fragen verstecken, die andere Branchen umtreiben. Ein erfolgreiches Praxisbeispiel: Modedesignerin Jennifer Johnson kam mit einer konkreten Anfrage auf das DESY zu. „Die Designerin hat eine Autoimmunerkrankung und war auf der Suche nach einem Material, das effektiv gegen hohe Sonneneinstrahlung schützt“, beschreibt Saleh den Auftakt der Zusammenarbeit. Sie wurde daraufhin mit einem DESY-Wissenschaftler verbunden; gemeinsam entwickeln sie nun ein Sprühverfahren, durch das Stoffe nachhaltig beschichtet werden, die im Hamburger Label J-040 wortwörtlichen zum Tragen kommen. Ein Paradebeispiel für Cross Innovation – und einen „Outside-in Prozess“, bei dem eine Frage von außen an das Forschungsinstitut herangetragen wurde. „Wir möchten DESY dabei unterstützen, ,Forschung outside the box‘ zu betreiben“, fasst Patrick Scheckelhoff vom Cross Innovation Hub das Ziel des Labs zusammen.
Doch es gibt weitere Ziele: Das Innovationsmanagement von DESY möchte seinen Forschenden den Austausch mit anderen Personen und Institutionen schmackhaft machen. „Das ist ein wichtiger Softskill“, sagt Saleh. „Unsere Wissenschaftler*innen sollen im Austausch ihre Forschung durch die Augen anderer sehen.“ Dieser Perspektivwechsel sei nicht nur für die eigene Forschung wichtig, sondern auch bei der Akquise neuer Fördergelder und Kooperationspartner*innen. So dient es als Proof of Concept im Projekt Transferwelten (s. Infokasten), in das das CIL eingebettet ist und soll beweisen, dass die Zusammenarbeit mit neuen Stakeholder*innen das Forschungszentrum voranbringt. Im nächsten Schritt muss auch Salehs Abteilung Räume für die Forschenden schaffen: finanzielle, zeitliche und wortwörtliche. Ein langer Prozess, den das DESY gemeinsam mit der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaft (HAW) geht.
Außerdem bauen der Cross Innovation Hub und DESY hier einen gemeinsamen Leuchtturm: Das Projekt beweist auch, dass Kreative wichtige Impulsgeber*innen für die Wissenschaft sind. Neuland für den Cross Innovation Hub, der bereits mehrfach erfolgreich Lab-Formate mit der Wirtschaft umgesetzt hat und sich nun in die Forschung vorwagt. Geht das auf?
Industriedesigner Sebastian Mends-Cole, der zum vierten Mal ein Lab begleitet, berichtet: „Ich war sehr gespannt auf die Zusammenarbeit, auch im Vergleich zu Wirtschaftsvertreter*innen.“ Und er kann bestätigen: Die Wissenschaftler*innen seien äußerst kreativaffin. Denn trotz unterschiedlicher Arbeitsweisen vereinen alle Teilnehmenden eine Neugierde für neue Lösungswege.
Synergie, Neugierde und Teamspirit ab der ersten Sekunde? Ganz so einfach war es nicht, denn Teil eines ergebnisoffenen Prozesses ist Unsicherheit. Ein Umstand, den viele Kreative aus ihrer Arbeit kennen. Denn oft beginnen kreative Prozesse mit einer offenen Fragestellung, auf die sie sich frei und innovativ einlassen. „Ich war total ergebnisoffen”, bestätigt Industriedesignerin Mechthild Ubl, „und fand es spannend, lost zu sein“. Und gleichzeitig spürt sie, dass ihre neuen Teamkolleg*innen die Unsicherheit weit weniger gewöhnt sind.
Das zeigt zum Beispiel das Brainstorming, mit dem die Ideenfindung begann. Grundprinzip der Methode ist, alle Ideen erst einmal wertfrei anzunehmen. „Man hat jedoch im Prozess sofort gemerkt, dass die Umsetzbarkeit bei DESY immer gleich mitgedacht wird“, beschreibt Hannah Kemper vom Cross Innovation Hub die Session. „Da wurden Ideen direkt in komplexe Formeln übersetzt, berechnet – und für nicht machbar erklärt“, ergänzt Michael Schieben lachend. Wieder andere Ideen werden aber neugierig verfolgt und zeigen, dass die Methoden des Cross Innovation Labs wirken. „Ich empfehle den Forschenden, das hier Gelernte mit in ihren Arbeitsalltag zu nehmen“, betont auch Saleh den Mehrwert des konzeptionellen Rahmens, den der Hub erarbeitet hat.
Während am Anfang also die gegensätzlichen Herangehensweisen im Fokus stehen, verstehen die Kreativen die Möglichkeitsräume des Forschungszentrums besser und die DESY-Mitarbeitenden lernen, Ungewissheit und Ambiguität zuzulassen. „Wissenschaftler*innen wissen meistens genau, was sie wollen“, sagt der teilnehmende Ingenieur David Reuther. Im Lab sei der Prozess viel ergebnisoffener und Reuther genieße, dass im Programm so viele freie Fragen gestellt werden. „Das wird auch für uns immer wichtiger“, sagt er, denn die Grundlagenforschung sei inzwischen so ausdifferenziert, dass der Wissenstransfer auch unter den DESY-Mitarbeitenden wachsen müsse.
Wer das Lab begleitet, erkennt schnell: Der Prozess ist hier mindestens genauso wichtig wie das Ergebnis. Doch woran arbeitet das Team denn nun? SOLR (Sustainable Oasis für Learning and Recharge) ist ein Ort im öffentlichen Raum, der Solarstrom erzeugt. Dafür müssen Nutzer*innen, die beispielsweise ihr Handy laden möchten, jedoch an einem Nachhaltigkeitsquiz teilnehmen. Ein trojanisches Pferd, das dank Gamification-Ansatz wichtige Aufklärungsarbeit über Nachhaltigkeit und die Arbeit des DESY leisten soll. Zudem bietet SOLR für DESY die Möglichkeit, Zukunftstechnologien zu testen und ihre Arbeit für die Öffentlichkeit sichtbarer zu machen. Teilnehmerin Christina Schwemmbauer, die eigentlich zu dunkler Materie forscht, demonstriert den raschen Fortschritt des Projektes: Noch vor fünf Workshoptagen war die Idee nicht mehr als eine offene Fragestellung. Jetzt trägt die Forscherin das Konzept in einem überzeugenden Elevator Pitch vor.
Doch wie geht es weiter? Postdoctoral Researcher Nikita Khodakovskiy hinterfragt, wie realistisch die nächsten Schritte sind, die zum Beispiel den Bau eines Prototyps beinhalten. Denn was Kreative und Forscher*innen definitiv gemeinsam haben, ist Zeitknappheit – und finanzielle Mittel. Doch das ausgearbeitete Konzept, das Ende November präsentiert wurde, ist die perfekte Grundlage zur Akquise von Fördergeldern und motiviert das neu entstandene Team, die Idee weiterzuverfolgen. Und so wird hoffentlich eine Oase entstehen, die zeigt: Sie können viel voneinander lernen, Kreativwirtschaft und Wissenschaft.
Beim Cross Innovation Lab treffen Institutionen – von Wirtschaftsunternehmen bis städtische Einrichtungen – auf Kreativ-Expert*innen aus dem Pool des Cross Innovation Hubs. In einem vom ihm gestalteten und geleiteten Prozess profitieren die Teilnehmenden von den innovativen Denkweisen und kreativen Arbeitsprozessen der Kreativwirtschaft. Der Prozess ist sowohl ergebnisoffen als auch lösungszentriert und wird anschließend mit in den Arbeitsalltag der teilnehmenden Institutionen genommen. Das Lab mit DESY war das erste Programm, an dem eine Forschungseinrichtung mit einem Vorhaben teilgenommen hat. Zuvor waren Wissenschaftler*innen nur als Sparringspartner*innen involviert.
Das Cross Innovation Lab findet im Rahmen des Forschungsprojektes „TransferWelten – Gesellschaftliche Impulse und technologische Impulse vereinen“ statt, an dem das DESY gemeinsam mit der HAW Hamburg teilnimmt. Hier sollen externe Impulse – also reale gesellschaftliche Bedarfe und Fragestellungen – in den wissenschaftlichen Betrieb gegeben werden (Outside-in-Prozess). Das Ziel des Projektes ist es, für den High-Tech Bereich , „nicht-offensichtliche Anwendungsfelder“ auszuloten, um transdisziplinäre Zusammenarbeit der Grundlagenforschung mit Stakeholdern aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu fördern. Konkrete Bereiche können neue Materialien, die Gesundheits- oder die IT-Branche sein.
Der erste dreiwöchige Workshop im Rahmen von ‚TransferWelten‘ wurde von Hi-Acts (Helmholtz Innovation Platform for Accelerator-based Technologies and Solutions) finanziell unterstützt, um den Start dieser innovativen Zusammenarbeit zwischen DESY und der HAW Hamburg zu ermöglichen. Cross Innovation vereint Expertise aus unterschiedlichen Bereichen und schafft so neue Ansätze und Lösungen – ein Ansatz, der durch Hi-Acts gezielt gefördert wird, um einen schnellen Zugang zu beschleunigerbasierten Technologien zu ermöglichen und innovative Lösungen für Industrie, Medizin und Gesellschaft effizienter umzusetzen.